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Inklusion auf dem Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung stärken

forum arbeit 02/24

von Andreas Hammer

 Kritik am Zugang von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt

Obwohl Deutschland im internationalen Vergleich ein reicher Wohlfahrtsstaat ist, ist die Inklusion von Menschen mit Behinderungen noch nicht ausreichend gelungen. Kritisiert wird unter anderem die stetige Zunahme der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) sowie ein ausgeprägter Mangel an Übergängen aus den WfbM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Besonders deutlich hatte der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK-Ausschuss) die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Deutschland kritisiert und 2015 bemängelt, „dass segregierte Werkstätten für behinderte Menschen weder auf den Übergang zum allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereiten noch diesen Übergang fördern.“ 

Hier gelangen Sie zur Datenbank der Vertragsorgane für Menschenrechte

In Jahr 2022 waren 684 Werkstätten (2017 ca. 680) in der BAG WfbM organisiert mit rund 316.000 Werkstattbeschäftigten (2017 rd. 310.000). Die Übergangsquote aus WfBM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ist gering (< 1%). In der UN-BRK sind keine „Sonderwelten“ für Menschen mit Behinderung vorgesehen, sondern das das Recht auf Arbeit und Beschäftigung für Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Weitere Kritik bezieht sich auf auf das Entgelt, welches Werkstatt-Beschäftigte erhalten.

UN-Konvention als Maßstab

Eine zentrale Bedeutung hat das Prinzip der Sozialen Inklusion in der UN-BRK. Die von Deutschland ratifizierte UN-Konvention ist der Maßstab (zusätzlich zum Grundgesetz Art. 3). In ihrer Präambel wird auch das Ziel eines verstärkten Zugehörigkeitsgefühls („enhanced sense of belonging“) aufgeführt, was oft mit Teilhabe übersetzt wird. Inklusion beschreibt dabei die Gleichwertigkeit eines Individuums, ohne dass dabei Normalität vorausgesetzt wird. Normal ist vielmehr die Vielfalt. Die einzelne Person ist nicht mehr gezwungen, nicht erreichbare Normen zu erfüllen, vielmehr ist es die Gesellschaft, die Strukturen schafft, in denen sich Personen mit Besonderheiten einbringen und auf die ihnen eigene Art wertvolle Leistungen erbringen können. Dies gilt auch für den Zugang in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Sobald die Notwendigkeit besteht, dass sich jemand seinen Lebensunterhalt selbst verdient, steht die Barriere, dass einer Erwerbsarbeit nur derjenige nachgehen kann, der mit seiner Arbeitskraft mehr Werte schafft als er selbst zum Leben braucht (siehe Frage der „Rest-“Produktivität). Separierende Einrichtungen sollen überflüssig sein. Gesellschaft kann die Lebensqualität und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verbessern oder verschlechtern. Aber durch Diskriminierungsverbote und Gleichstellungsgesetze haben sich keine durchschlagenden Änderungen ergeben um die UN-BRK zu erfüllen. 

Klicken Sie hier für das vollständige Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Handlungsbedarf und -druck in Deutschland

Im Anschluss an seine Kritik hat der UN-BRK-Ausschuss die Regierung aufgefordert, einen inklusiven Arbeitsmarkt zu schaffen, der im Einklang mit den Menschenrechten steht. Der Fokus soll dabei auf der Schaffung von zugänglichen Arbeitsplätzen bei Arbeitgebern im allgemeinen Arbeitsmarkt liegen.

Aktivitäten des Bundes in den letzten Jahren

Die Bundesregierung(en) hat in den letzten Jahren verschiedene Aktivitäten umgesetzt, um der Kritik zu begegnen, dem Handlungsbedarf nachzukommen und die rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen.

Bundesteilhabegesetz (2016)

Ein großer Schritt stellte das Bundesteilhabegesetz dar, welches das SGB IX (und im Zuge auch das SGB XII) neu gestaltet hat und insbesondere die Definition von Menschen mit Behinderung geändert hat. Neuerungen in arbeitsmarktpolitischer Hinsicht stellten die „andere Leistungsanbieter“ und das Budget für Arbeit im SGB IX sowie Modellvorhaben rehapro dar.

Lesen Sie hier die Ausführungen des Bundesministerium für Arbeit und Soziales zum Bundesteilhabegesetz.

Mensch mit Behinderung

Der Begriff ist nicht mehr wie früher rein medizinischer Natur. Das SGB IX definiert: Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. (§ 2 Abs. 1 SGB IX)

Andere Leistungsanbieter § 60 SGB IX

Mit dem „anderen Leistungsanbieter“ wird Menschen mit Behinderung im Sinne des SGB IX eine Alternative zur WfbM angeboten. Ein anderer Leistungsanbieter kann die gleichen Leistungen wie eine WfbM mit gleicher Zielsetzung anbieten (Eignungsverfahren, Berufsbildungsbereich, Arbeitsbereich). Der Unterschied zur WfbM liegt in den gesetzlichen Ausnahmen, die in § 60 (2) SGB IX geregelt sind, welche die Anforderungen im Vergleich zu einer WfbM absenken. Diese Rechtsgrundlage ist eine interessante Ergänzung für Betroffene. Aktuell gibt es rund 100 solcher Angebote von Trägern, was auf zahlreiche Lücken in Deutschland verweist. Weitere Angebote zu schaffen bleibt Aufgabe, damit Betroffene ihre Wahlfreiheit zwischen WfbM und andere Leistungsanbieter auch ausüben können.

Budget für Arbeit § 61 SGB IX

Auch das Budget für Arbeit soll Menschen mit Behinderung eine zusätzliche Möglichkeit eine Arbeitsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bekommen. Das Instrument stellt einen Lohnkostenzuschuss für den Abschluss eines sv-pflichtiges Arbeitsverhältnis dar, der bis zu 75 % des vom Arbeitgeber regelmäßig gezahlten Arbeitsentgelts beträgt.

Modellvorhaben § 11 SGB IX

Im SGB IX sind unter dem Namen rehapro Modellvorhaben vorgesehen, die den Vorrang von Leistungen zur Teilhabe nach § 9 und die Sicherung von Erwerbsfähigkeit nach § 10 SGB IX unterstützen. Gefördert werden Leistungsberechtigte nach den SGB II und VI, die nicht nur vorübergehend gesundheitlich eingeschränkt sind. Die Fördermittel werden außerhalb der dort üblichen Budgets vom Bundesministeriums für Arbeit und Soziales für innovative und rechtskreisübergreifende Maßnahmen bereitgestellt. Aktuell wird keine weitere Förderrunde geplant, stattdessen geht es um die Verstetigung der wirksamen Ansätze.

Teilhabestärkungsgesetz (2021)

Das Teilhabestärkungsgesetz enthält unter anderem die Aufhebung des Leistungsverbots der Jobcenter für RehabilitandInnen. Durch eine Änderung des § 5 SGB II (Verhältnis zu anderen Leistungen) können nun nach eigenem Ermessen der Jobcenter Leistungen nach den §§ 16a, 16b, 16d sowie 16f bis 16i SGB II auch an erwerbsfähige Leistungsberechtigte erbracht werden, sofern ein Rehabilitationsträger im Sinne des SGB IX zuständig ist. Außerdem wurde der Zugang zu Leistungen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung und zu berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen und der Berufsausbildungsbeihilfe verbessert. Das Leistungsverbot für die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter wird partiell aufgehoben in Bezug auf die Leistungen nach den §§ 44 und 45 SGB III. Die Vermittlungstätigkeit kann nun unmittelbar mit vermittlungsunterstützenden Leistungen flankiert und damit die Eingliederung von RehabilitandInnen in den Arbeitsmarkt beschleunigt werden.

Hier können Sie Informationen wie Umsetzungsstand oder Maßnahmen zum „Teilhabestärkungsgesetz“ nachlesen.

Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts (2023)

Mit dem Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts soll die Einstellung von Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt gefördert werden. Hintergrund: Die Zahl der beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber, die keine schwerbehinderten Menschen beschäftigen, ist in den letzten Jahren angestiegen (2021: 25,9 %). Zu den hier geregelten Maßnahmen gehören:

  • Einführung einer 4. Stufe der Ausgleichsabgabe mit Wirkung zum 1.1.2024. Betroffen sind Betriebe, die trotz Beschäftigungspflicht keinen schwerbehinderten Menschen beschäftigen. Sie müssen pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz eine deutlich höhere Ausgleichsabgabe bezahlen. Damit werden Finanzmittel zur Förderung des Zugangs von Menschen mit Behinderung zum allgemeinen Arbeitsmarkt generiert.
  • Einheitliche Ansprechstellen für Arbeitgeber: Entscheidet sich ein Arbeitgeber für die Einstellung eines Menschen mit Behinderung, übernehmen die Einheitlichen Ansprechstellen die Klärung, welcher Leistungsträger gegebenenfalls für Hilfen wie Arbeitsassistenz oder Lohnkostenzuschuss zuständig sind und entlasten den Arbeitgeber im Verfahren der Antragstellung und darüber hinaus.
  • Konzentration der Mittel der Ausgleichsabgabe auf den allgemeinen Arbeitsmarkt: Länder müssen die ihnen zustehenden Mittel aus der Ausgleichsabgabe vollständig für Programme und Maßnahmen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzen.
  • Inklusionsbetriebe müssen ihre eigenen Beschäftigten nicht mehr an andere Betriebe vermitteln.
  • Das Jobcoaching (§ 49 SGB IX) ist eine an den individuellen Bedarfen orientierte Anleitung und Unterstützung von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsplatz.

Hier finden Sie die Informationen zum „Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts“ herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Ausblick

Trotz der vielfältigen Aktivitäten hat eine erneute Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-BRK in Deutschland (10/2023) wiederholt zu Kritik geführt. Demnach bestehen die Probleme beim Zugang zum Arbeitsmarkt weiter und damit auch der Handlungsbedarf. 

Weitere offene Fragen sind:

  • Verlagerung der Zuständigkeit für Reha aus dem SGB II in das SGB III ab 1.1.2025

Unabhängig davon hat die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag die Stärkung von Inklusionsbetrieben durch eine formale Privilegierung im Umsatzsteuergesetz angekündigt, aber noch nicht umgesetzt.

Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch künftig reagieren und zusätzliche Fördermittel und Förderinstrumente zur Verfügung stellen wird. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt aber auch, dass es eines langen Atems bedarf und die Perspektive in diesem Arbeitsfeld längerfristig angelegt sein sollte. 

Maßnahmenträger könnten und sollten verstärkt einen Beitrag zur Beschäftigung und Ausbildung von Menschen mit Behinderungen leisten.

Unser Autor Andreas Hammer
hat vor über 30 Jahren den noch bestehenden Träger „Jugendwerkstatt e.V. – Produktionsschule in Baden“ gegründet. Seit vielen Jahren führt er Evaluationen und Fortbildungen durch, berät bei der Drittmittelakquise und Projektkonzipierungen.

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