ein Interview mit Stefan Bräunling
“Krankheit erhöht das Risiko, arbeitslos zu werden – Arbeitslosigkeit erhöht das Risiko zu erkranken”
Sie leiten die Geschäftsstelle des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit. Wofür setzt sich der Verbund ein?
Der Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit ist ein Forum der bundesweiten Zusammenarbeit aus den Bereichen Gesundheit, Soziales, Umwelt, Stadtentwicklung, Bildung, Kinder- und Jugendhilfe, Arbeitsförderung und weiteren relevanten Bereichen. Er setzt seine Expertise und Kompetenz gemeinschaftlich ein, um Strukturen und Praxis der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung und Prävention zu stärken.
Mit den „Good Practice-Kriterien“ konnten allgemein anerkannte Qualitätskriterien für die Gesundheitsförderung entwickelt und bereits weit über 100 Maßnahmen als „Good Practice-Beispiele“ ausgezeichnet werden. In allen Bundesländern trägt die Arbeit der Koordinierungsstellen Gesundheitliche Chancengleichheit (KGC) wesentlich zur Koordination – möglichst auf der Ebene der Kommune – und Unterstützung von Aktivitäten bei.
Stefan Bräunling leitet die Geschäftsstelle des bundesweiten Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit
Worin besteht der Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Gesundheit? Welche gesundheitlichen Folgen kann Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit für Betroffene haben?
Erwerbslose haben, ganz grob gesagt, ein doppelt so großes Erkrankungsrisiko wie Erwerbstätige. Das trifft auf physische genauso wie auf psychische Beschwerden zu. Depressivität, Ängstlichkeit, Hoffnungslosigkeit bis hin zur Resignation sowie ein verringertes Selbstwertgefühl, geringeres Aktivitätsniveau und Vereinsamung sind wesentliche Symptome einer schlechteren psychischen Gesundheit von Erwerbslosen. Erwerbslosigkeit kann zudem zu gesundheitsriskanten Verhaltensweisen wie mangelnder körperlicher Bewegung, ungesunder Ernährung, erhöhtem Suchtmittelkonsum führen, insbesondere bei Menschen, die wenig soziale Unterstützung erfahren.
Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen nehmen mit der Dauer der Erwerbslosigkeit sukzessive zu. Die Leser*innen dieser Zeitschrift werden das sehr gut wissen: Ein großer Teil der Langzeiterwerbslosen weist erhebliche, vermittlungsrelevante gesundheitliche Einschränkungen auf.
Der Zusammenhang ist wechselseitig: Krankheit erhöht das Risiko, arbeitslos zu werden – Arbeitslosigkeit erhöht das Risiko zu erkranken. Zudem hemmen gesundheitliche Einschränkungen die Arbeitssuche und die Vermittlung. Es ist ein Teufelskreis.
Welche Maßnahmen müssen getroffen werden, um die gesundheitliche Lage von Arbeitslosen zu verbessern?
Am wichtigsten ist natürlich, Armut und Arbeitslosigkeit direkt zu bekämpfen. Aber wenn wir jetzt darüber sprechen, was begleitend getan werden sollte: Dann ist die Zusammenarbeit der Akteure in der Kommune der stärkste Hebel. Jobcenter, kommunale Ämter, Krankenkassen, Arbeits- und Beschäftigungsträger, Beratungsstellen, Kammern, Wohlfahrtsverbände, Betroffeneninitiativen, freie Träger usw.; ebenfalls kommt der Selbsthilfe eine zentrale Bedeutung zu. Diese Akteure sollten gemeinsam strategisch planen, welche Gruppen sie vorrangig unterstützen, wie sie ihre Ressourcen einsetzen und gegebenenfalls Maßnahmen entwickeln.
Dann werden sie Gesundheits- und Arbeitsförderung miteinander verknüpfen, beispielsweise können Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung (MAT) mit gesundheitsfördernden Angeboten verknüpft werden. Dies geschieht bereits an vielen Orten. Und sie werden weitere Maßnahmen möglicherweise in Einrichtungen der Gemeinwesenarbeit (Stadtteilzentren, Familienzentren oder Mehrgenerationenhäusern) ansiedeln. Die Arbeit dieser Einrichtungen zeichnet sich üblicherweise durch langjährige Erfahrung bei der Integration in das Leben in der Gemeinschaft, interkulturelle und Genderkompetenz sowie Niedrigschwelligkeit aus.
Welche Tipps haben Sie für Beschäftigte, um die Gesundheit am Arbeitsplatz zu fördern und gesundheitlichen Problemen vorzubeugen?
Es gibt natürlich Tipps für Beschäftigte, die richtig und wichtig sind: Achten sie darauf, bei großer Hitze am Arbeitsplatz genug zu trinken! Aber diese Tipps alleine greifen zu kurz. Im Betrieb gilt das gleiche, was ich in der vorigen Antwort zu den Akteuren in der Kommune gesagt habe: Vertreter*innen aller Gruppen und Ebenen sollten sich zusammensetzen und strategisch überlegen: Was läuft gut, wo drückt der Schuh, was brauchen wir noch? „Gesundheitszirkel“ im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements gehen so vor.
Sie sprechen im Eckpunktepapier ihres Verbandes zur Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen von einer Primärprävention über sogenannte “Outplacement-Programme”. Was heißt das konkret? Welche Vorteile bestehen durch diese Maßnahmen?
Wir hatten zu Beginn unseres Gesprächs die hohe gesundheitliche Belastung von Erwerbslosen angesprochen, die sich in sehr vielen Symptomen zeigt. Die Forschung zeigt eindrucksvoll: Dieselben Symptome zeigen sich – nicht so stark ausgeprägt – bei prekären Arbeitsverhältnissen und bei drohendem Arbeitsplatzverlust! Wir empfehlen deswegen, gekündigten Personen ganz frühzeitig Beratung und Begleitung anzubieten, um neue berufliche Perspektiven zu entwickeln und zu realisieren.
Foto: Julia Baumgart
Wie kann die Gesundheitsförderung und Prävention in Zukunft noch verbessert werden?
Zum einen braucht die Zusammenarbeit der Akteure in der Kommune, die ich beschrieben habe, stabile Strukturen, insbesondere ein gut ausgestattetes Gesundheitsamt und ein kontinuierliches Netzwerk.
Zum anderen: Maßnahmen mit zu kurzer Laufzeit sind leider nicht allzu erfolgversprechend. Jegliche Erfahrung zeigt, dass für die Gesundheitsförderung bei erwerbslosen Menschen Geduld und ein langer Atem erforderlich sind. Erwerbslose Menschen bringen persönliche Stärken und Kompetenzen und einen Reichtum an Erfahrungen mit. Sie sind jedoch nicht selten auch resigniert, in der Teilhabe am sozialen Leben eingeschränkt und schwer zu „gewinnen“. Für eine MAT mit ergänzendem Gesundheitsangebot haben sich sechs Monate Laufzeit als zielführend erwiesen.