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Mit Augen und Ohren – Medienempfehlungen zum Thema Kultursensibilität

forum arbeit 04/24

Unsere Gesellschaft ist heute bunter und vielfältiger als je zuvor: Etwa 30 % der deutschen Bevölkerung haben mittlerweile einen Migrationshintergrund, und dieser Anteil wächst weiter. Doch dieser „Migrationshintergrund“ ist keineswegs einheitlich – die Menschen kommen aus den unterschiedlichsten Ländern, haben verschiedene Traditionen, Werte und Erfahrungen, die ihren kulturellen Hintergrund prägen. In einer Welt, die immer globaler und vernetzter wird, ist das Thema Kultursensibilität wichtiger denn je.

Kultursensibilität bedeutet, sich der kulturellen Unterschiede zwischen Menschen bewusst zu sein und respektvoll damit umzugehen. Es geht darum, die Vielfalt der Kulturen zu schätzen und in Gesprächen oder in der Zusammenarbeit zu berücksichtigen. Diese Fähigkeit ist nicht nur im sozialen und beruflichen Kontext – etwa in der Beratung oder in der Bildung – von Bedeutung, sondern auch im täglichen Miteinander. In einer multikulturellen Gesellschaft sind Missverständnisse und Konflikte aufgrund unterschiedlicher kultureller Hintergründe fast unvermeidbar. Kultursensibilität hilft, solche Situationen zu erkennen, einzuordnen und respektvoll zu lösen.

Darüber hinaus spielt Kultursensibilität eine entscheidende Rolle in Bereichen wie der medizinischen Versorgung, am Arbeitsplatz oder in sozialen Netzwerken. Sie ist eine Schlüsselkompetenz, um in einer immer vielfältigeren Welt gut miteinander zurechtzukommen. 

 

Quelle: Statistisches Bundesamt – Migrationsbericht 2021 

Kultursensible Stadtentwicklung

Angespannte Wohnungsmärkte sind ein bekanntes Problem, vor allem in Großstädten wie Berlin, Hamburg oder München, wo es zunehmend schwieriger wird, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Besonders betroffen von steigenden Mieten sind marginalisierte Gruppen, die aufgrund fehlender Netzwerke und bestehender Vorurteile überdurchschnittlich oft in prekäre Verhältnisse oder sogar Wohnungslosigkeit abrutschen.

Der Podcast „Kultursensible Stadtentwicklung in der Zukunftsstadt“ beleuchtet diese Problematik anhand konkreter Beispiele. Die Organisation Synthese und Vernetzung Zukunftsstadt (SynVer*Z) nimmt uns mit ins Märkische Viertel Berlins. Dort arbeiten verschiedene Unternehmen und Organisationen zusammen, um bestehende Herausforderungen im Quartier zu identifizieren und den Zugang zu Wohnraum für marginalisierte Gruppen zu verbessern.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Gestaltung von Räumen, die kulturelle Anforderungen berücksichtigen. Gemeinsam mit einem sozialen Träger werden im Norden Berlins Räume des Austauschs und der Partizipation geschaffen. So findet etwa ein Workshop statt, in dem Sinti:zze und Rom:nja ihre Gedanken und Wünsche zur Wohnsituation in ihrem Viertel äußern können. Dadurch wird ein kultursensibler Blick auf die Gestaltung von Räumen ermöglicht, der die unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Kulturen einbezieht und marginalisierte Gruppen in öffentliche Orte und alltägliche Lebensrealitäten integriert. Denn wo Wohnraum knapp bemessen ist, werden öffentliche Räume Teil des alltäglichen Lebens. Menschen aller Hintergründe kommen in Grünflächen oder der Innenstadt zusammen, um dort ihre Zeit zu verbringen. Es zeigt sich jedoch, dass kultursensible Ansätze in der Raumgestaltung noch viel zu selten Berücksichtigung finden und eine stärkere Fokussierung auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Bewohner notwendig ist.

Kultursensibler Unterricht

Vorfreude, Aufregung und vielleicht auch ein wenig Angst sind alles Gefühle, die Kindern vor dem ersten Schultag empfinden. Fragen wie „Werden auch Kinder aus meinem alten Kindergarten da sein?“ oder „Werde ich jemanden finden, mit dem ich in der Pause spielen kann?“, gehören sicherlich zu den Gedanken, die Kinder sich an diesem Tag stellen.

Allerdings gibt es einen wachsenden Anteil an Kindern, die sich fragen müssen, ob die Lehrkräfte in der Lage sind, sie, ihre Bedürfnisse und Hintergründe zu verstehen. Die Fähigkeit, kultursensibel mit den verschiedenen Hintergründen der Kinder umzugehen und den Unterricht entsprechend zu gestalten, wird für Lehrkräfte daher immer wichtiger. Ein Audiobeitrag des WDR spricht hierzu mit einem Forscher der Universität Duisburg – Essen.

Die zugrundeliegende Studie untersucht, wie der sensible Umgang mit kultureller Diversität im Unterricht sich auf die Leistung von Grundschulkindern auswirkt. Die Ergebnisse sind eindeutig: Kultursensible Wertschätzung im Unterricht führt neben besseren Leistungen in den Fächern Deutsch und Mathematik, auch zu einem höheren Wohlbefinden der Schulkinder. Dabei müssen diese Wertschätzungen nicht immer aufwendige Ideen oder neue Konzepte sein. Die Anerkennung kultureller Vielfalt und das Aneignen von Wissen über verschiedene Traditionen, Bräuche oder Feste sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Eine kurze Zusammenfassung der Studie hat außerdem die Universität Duisburg – Essen veröffentlicht. 

Kultursensible Therapie

Muslimische Menschen haben häufig höhere Hemmungen, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Angst vor Missverständnissen, Stigmatisierung oder gar islamfeindlichen Einstellungen hält viele davon ab, sich Unterstützung in schwierigen Lebensabschnitten zu suchen. Zudem werden in konservativen Kreisen psychische Erkrankungen oft mit mangelndem Glauben erklärt. In dem ZDFinfo Beitrag  zeigt eine muslimische Praxis in Rüsselsheim, wie wichtig kultursensible Therapieansätze sind.

Das muslimische Therapeutenpaar Malika Laabdalaoui und Dr. Ibrahim Rüschoff betreut in ihrer Praxis vorwiegend muslimische Patient:innen, die nicht nur aus der Region, sondern teils von weit her anreisen. Für viele ist das Gefühl entscheidend, in einem Umfeld verstanden zu werden, das ihre kulturellen und religiösen Hintergründe kennt. Diese Vertrautheit schafft einen wichtigen Vertrauensvorschuss: Betroffene müssen weniger ihre Umstände und Hintergründe erklären und können sich auf ihre eigentlichen Probleme fokussieren. 

Gleichzeitig ist die Vielfalt innerhalb der muslimischen Community groß. Ein sensibler Umgang mit individuellen Biografien ist daher essenziell. Es geht nicht darum, ein pauschales „muslimisches Bild“ überzustülpen, sondern um eine achtsame Betrachtung persönlicher Hintergründe. Auch hier gilt: Jeder Mensch ist unterschiedlich und hat ganz individuelle Baustellen.

Der Beitrag zeigt: Es gibt noch zu wenige Anlaufstellen, in denen sich muslimische Patient:innen wirklich geborgen fühlen. Viele haben zudem Angst, dass nicht-muslimische Therapeut:innen sie manipulieren oder vom Glauben abbringen könnten. Wichtig ist jedoch nicht unbedingt, dass Therapeut:innen muslimisch sind, sondern dass sie sich mit dem kulturellen und religiösen Kontext auskennen und sensibel damit umgehen. Kultursensible Therapie ist somit ein zentraler Baustein, um Menschen unabhängig von ihrem Glauben und ihrer Herkunft bestmöglich zu unterstützen.