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Das Rollenverständnis von Vermittlungskräften

Vermittlungsfachkräfte in Jobcentern deuten ihre berufliche Rolle auf unterschiedliche Weise, was sich maßgeblich auf ihren Umgang mit Sanktionen auswirkt. Idealtypisch lassen sich drei Rollenverständnisse unterscheiden. Diese Rollen beeinflussen nicht nur die Bedeutung, die Sanktionen beigemessen wird, sondern auch die Erwartungen, die an Leistungsberechtigte gestellt werden und damit auch die Entscheidung, ob und wie Sanktionen in einer bestimmten Situation angewendet werden. Am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung wurde zu diesem Thema geforscht und abschließend die Ergebnisse zusammengefasst.

Handlungsspielräume bei Sanktionen: Das Rollenverständnis der Vermittlungskräfte

Die Vermittlungskräfte in Jobcentern verfügen über Handlungsspielräume, wenn es um die Beurteilung und Umsetzung von Sanktionen geht. Ein Meldeversäumnis oder eine Pflichtverletzung führt nicht zwangsläufig zu Sanktionen. Werden besondere Umstände oder eine außergewöhnlicher Härte festgestellt, wie beispielsweise drohender Wohnungsverlust, folgen keine Sanktionen. Darüber hinaus beeinflussen Vermittlungskräfte die Aufklärung über Sanktionen und die Anzahl der potenziellen Sanktionsanlässe in individueller Beratung und Betreuung. Wie diese individuellen Spielräume genutzt werden, hängt maßgeblich vom Rollenverständnis der Vermittlungskräfte ab.

Verschiedene Rollenverständnisse der Vermittlungskräfte

Untersuchungen zwischen Februar 2021 und Juli 2023 in acht Jobcentern haben gezeigt, dass es drei unterschiedliche berufliche Rollenverständnisse gibt, die das Denken und Handeln der Vermittlungskräfte strukturieren. Diese Rollen wurden durch Interviews und Beobachtungen identifiziert und beeinflussen auch die Sichtweise auf Sanktionen.

Administratives Rollenverständnis

Vermittlungskräfte mit einem administrativen Rollenverständnis orientieren sich stark an Regeln und Verfahren. Sie sehen sich in erster Linie als Vertreter:innen der staatlichen Behörde. Sanktionen werden hier als regulärer Bestandteil der Arbeit betrachtet. Die Beurteilung eines wichtigen Grundes oder einer außergewöhnlichen Härte gilt für diese Fachkräfte nicht als flexibler Handlungsspielraum, sondern als formale Anforderung, die zu erfüllen ist.

Optimierendes Rollenverständnis

Hier stehen die Anforderungen des Arbeitsmarktes im Vordergrund. Vermittlungskräfte mit diesem Rollenverständnis sehen ihre Aufgabe vor allem darin, Hemmnisse zu beseitigen, die einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen. Sanktionen werden als fallbezogenes Instrument genutzt. Eine häufig geäußerte Haltung lautet: „Ich sanktioniere nicht direkt beim ersten Mal. Wenn es aber regelmäßig vorkommt, dann ist es irgendwann nicht mehr okay.“ Das Ziel von Sanktionen ist es, die Leistungsberechtigten zur Wahrnehmung ihrer Termine zu bewegen.

Sozialarbeiterisches Rollenverständnis

Vermittlungskräfte mit einem sozialarbeiterischen Rollenverständnis priorisieren den Beziehungsaufbau und orientieren sich an den individuellen Bedürfnissen der Leistungsberechtigten. Sie sehen Sanktionen besonders kritisch, da diese die Beziehung belasten könnten. Handlungsspielräume werden hier bewusst genutzt, um Sanktionen zu vermeiden. Stattdessen wird versucht, persönliche Hemmnisse der Leistungsberechtigten zu verstehen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.

Unterschiede in der Wahrnehmung von Leistungsberechtigten

Das Rollenverständnis der Vermittlungskräfte beeinflusst auch, wie Leistungsberechtigte wahrgenommen und bewertet werden – unteranderem hinsichtlich ihrer Motivation:

  • Administratives Rollenverständnis: Hier wird die Verletzung von Mitwirkungspflichten oft als Ausdruck von Desinteresse interpretiert.
  • Optimierendes Rollenverständnis: Motivation wird individueller beurteilt. Ein Abbruch einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme kann sowohl fehlender Motivation als auch fehlenden Lernerfahrungen zugeschrieben werden.
  • Sozialarbeiterisches Rollenverständnis: Es wird keine klare Trennung in motiviert und unmotiviert vorgenommen. Stattdessen werden persönliche Hemmnisse als mögliche Ursache für Pflichtverletzungen betrachtet.

Fazit

Die unterschiedlichen Rollenverständnisse prägen den Umgang mit Sanktionen in Jobcentern maßgeblich. Während administrative und optimierende Vermittlungskräfte häufiger auf Sanktionen zurückgreifen, nutzen sozialarbeiterisch geprägte Vermittlungskräfte ihre Handlungsspielräume bewusster, um Sanktionen zu vermeiden. Diese Differenzen zeigen, wie entscheidend das Rollenverständnis der Vermittlungskräfte für die Umsetzung von Sanktionsmaßnahmen ist. Gemeinsame Reflexionsprozesse könnten in den Jobcentern noch gezielter genutzt werden als bisher, um Mitarbeiter:innen über die Bedeutung von Rollenverständnissen aufzuklären.

Den ganzen Artikel des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung

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