ein Interview mit Stefan Lang
Können Sie uns einen kurzen Überblick über die Arbeit von Weißer Rabe im Bereich Gebrauchtwaren geben?
Stefan Lang: Die Weißer Rabe soziale Betriebe und Dienste GmbH zählt zu den größten Inklusions- und Beschäftigungsunternehmen in Bayern. Wir betreuen, qualifizieren und beschäftigen Menschen mit Unterstützungsbedarf. Das können Menschen sein, die unter einer psychischen Erkrankung leiden, Menschen mit Behinderung oder suchtkranke Menschen, Menschen mit ausbaufähigen Deutschkenntnissen oder Menschen ohne Schulabschluss oder Ausbildung. Im Bereich der Gebrauchtwaren spielen Nachhaltigkeit und Wiederverwertung eine zentrale Rolle. Durch die Wiederaufbereitung und den Weiterverkauf von Second-Hand-Waren wird nicht nur die Umwelt geschont, sondern auch ein Beitrag zur Kreislaufwirtschaft geleistet. Gleichzeitig ermöglichen die Gebrauchtwarenkaufhäuser preiswerte Einkaufsmöglichkeiten für die Bevölkerung und tragen zur finanziellen Eigenständigkeit unseres Betriebs bei.

Stefan Lang ist seit 9 Jahren beim Weißen Raben als Betriebsleiter GebrauchtWarenHäuser für alle betrieblichen Abläufe im Sozialbetrieb zuständig.
Welche Rolle spielt Second-Hand-Kleidung in Ihren Gebrauchtwarenkaufhäusern?
Stefan Lang: Second-Hand-Kleidung nimmt eine tragende Rolle in den GebrauchtWarenHäusern des WeißenRaben ein. Neben dem Umweltschutz und der Ressourcenschonung ist sie auch wirtschaftlich von großer Bedeutung: Rund zwei Drittel des Umsatzes werden durch den Verkauf von Bekleidung und Haushaltswaren generiert. Dieser hohe Anteil ist essenziell für die Finanzierung der sozialen und inklusiven Projekte des Unternehmens. Gleichzeitig trägt der Verkauf dazu bei, die Akzeptanz von Second-Hand-Kleidung in der Gesellschaft zu stärken und nachhaltige Konsummuster zu fördern.
Welche Zielgruppen sprechen Sie mit Ihren Angeboten an, und haben sich diese im Laufe der Zeit verändert?
Stefan Lang: Grundsätzlich stehen die Gebrauchtwarenkaufhäuser allen Münchner Bürgerinnen und Bürgern offen. Besonders sozial benachteiligte Menschen profitieren von den erschwinglichen Preisen. In den letzten Jahren hat sich jedoch ein klarer Trend abgezeichnet: Second-Hand-Kleidung wird zunehmend von jungen Menschen nachgefragt. Insbesondere umweltbewusste Konsumentinnen und Konsumenten entdecken den Charme nachhaltiger Mode für sich.
“Kunden legen zunehmend Wert auf Nachhaltigkeit und sind bereit, alternative Einkaufsformen zu unterstützen.”
Wie hat sich der Second-Hand-Markt entwickelt, und welche Trends beobachten Sie bei der Nachfrage nach gebrauchter Kleidung?
Stefan Lang: Die Nachfrage nach gebrauchter Kleidung ist in den letzten zehn Jahren enorm gestiegen. Während Second-Hand früher noch mehr als reine Notwendigkeit galt, ist es heute fester Bestandteil einer bewussten Konsumkultur. Kunden legen zunehmend Wert auf Nachhaltigkeit und sind bereit, alternative Einkaufsformen zu unterstützen. Zudem beeinflussen soziale Medien und Influencer-Trends die Attraktivität von Second-Hand-Mode erheblich. Insbesondere Vintage-Mode erfreut sich wachsender Beliebtheit.
Gab es Umstellungen oder neue Ideen in Ihren Geschäften, die sich besonders ausgezahlt haben? Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Stefan Lang: Ja, in den letzten Jahren wurden verschiedene Optimierungen vorgenommen, um den Second-Hand-Einkauf noch attraktiver zu gestalten. Beispielsweise wurden die Abteilungen modernisiert und besser auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten, beispielweise haben wir neben Bücher auch digitale Medien und bietet Kleidung saisonal an. Und bei der Bezahlung geht es inzwischen nicht mehr ohne EC-Karte. Auch die internen Abläufe beispielsweise zur Lagerung wurden optimiert, um die Prozesse effizienter zu gestalten. Dadurch konnten die Kundenzufriedenheit gesteigert und neue Zielgruppen angesprochen werden.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen im Second-Hand-Markt?
Stefan Lang: Eine der größten Herausforderungen besteht darin, qualitativ hochwertige Spenden zu erhalten. Während die Menge an gespendeter Kleidung zunimmt, ist nicht jede Spende (Fast-Fashion) für den Weiterverkauf geeignet. Es gilt, eine Balance zwischen der Menge und der Qualität der gespendeten Ware zu finden. Gleichzeitig ist es wichtig, attraktiv für Kunden zu bleiben und das Einkaufserlebnis ansprechend zu gestalten, um langfristige Kundenbindungen zu schaffen.
INFO Die EU plant aktuell die Implementierung der Erweiterten Herstellerverantwortung (Extended Producer Responsibility) bzw. EPR für Textilien. Laut ihr sollen Hersteller entlang der gesamten Wertschöpfungskette für ihre Produkte verantwortlich gemacht werden, sodass auf die Entsorgung von Textilien Sanktionen folgen.
Quelle: https://info.recyclehero.de/eprtextilien-niederlande
In Ihrer Textilstrategie sieht die EU eine erweiterte Herstellerverantwortung für Produzenten vor. Welche Auswirkungen kann das auf Ihre Arbeit haben?
Stefan Lang: Die von der EU geplante erweiterte Herstellerverantwortung hat das Potenzial, die Second-Hand-Branche nachhaltig zu verändern. Sie könnte dazu führen, dass Hersteller vermehrt Verantwortung für die Wiederverwertung ihrer Produkte übernehmen. Dies würde den Stellenwert von Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft weiter erhöhen und idealerweise zu einer besseren Qualität der gespendeten Textilien führen. Für Organisationen wie Weißer Rabe bedeutet dies sowohl Herausforderungen als auch Chancen, da sich die Strukturen der Altkleidersammlungen potenziell verändern könnten.
Was wünschen Sie sich von der Politik, um nachhaltige Altkleidersammlungen und soziale Unternehmen wie Ihres besser zu unterstützen? Haben Sie konkrete Ideen oder Lösungsansätze?
Stefan Lang: Um nachhaltige Altkleidersammlungen und soziale Unternehmen besser zu unterstützen, ist eine enge Zusammenarbeit mit der Stadt und den Kommunen essenziell. Eine gezielte Förderung von Kooperationen könnte dazu beitragen, dass gemeinnützige Organisationen in der Second-Hand-Branche gestärkt werden. Zudem wäre es hilfreich, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die soziale Unternehmen bevorzugen und sie gegenüber rein profitorientierten Anbietern absichern. Eine transparente Kennzeichnungspflicht für gespendete Kleidung sowie finanzielle Unterstützung für innovative Konzepte könnten ebenfalls einen positiven Beitrag leisten.
Weißer Rabe Sozialkaufhaus
Die GebrauchtWarenHäuser (GWHs) der Weißer Rabe GmbH mit den Standorten in Obersendling und Westend gehören zum festen Stadtbild in München. Münchner*innen erwerben hier Waren des täglichen Bedarfs vom Hausrat über Möbel und Spielsachen, bis hin zu liebevoll aufbereiteter Kleidung, alles zu günstigen Preisen. Gleichzeitig können sie Liebgewonnenes, für das sie selbst keine Verwendung mehr haben, abgeben. Schöne Sachen wechseln so zu neuen, zufriedenen Besitzer*innen.
Seit 1997 sind die GebrauchtWarenHäuser des Weißen Raben Orte der Begegnung und der Kommunikation. Menschen, die sich in einer segmentierten Gesellschaft sonst nie treffen, kommen hier ins Gespräch und tauschen sich aus. Integration und Inklusion werden bei uns gelebt. Das gilt für unsere durchschnittlich etwa 10.000 monatlichen Kund*innen genauso wie für unsere Mitarbeitenden. Wir sind Baustein einer solidarischen Stadtgesellschaft.
Die Drygalski-Allee in Obersendling ist ein modernes barrierefreies Sozialkaufhaus mit einer Verkaufsfläche von über 800 m2 über drei Etagen in der Landsberger Straße stehen uns eine Verkaufsfläche von 800 m2 über 2 Etagen zur Verfügung. Durchschnittlich werden monatlich 22,5 Tonnen Sachspenden in jedem unserer GebrauchtWarenHäuser wiederverwertet – unser Beitrag zur Kreislaufwirtschaft.
Für unsere Beschäftigten fallen Aufgaben in der Spendenannahme und Sortierung, Preisgestaltung, Verkaufsvorbereitung, Warenpräsentation, Regalpflege, Kundenberatung, Logistik, Online-Vermarktung, an der Kasse, beim Verpacken sowie in Büro- und Verwaltung an. Insgesamt arbeiten 45 Teilnehmer*innen pro Haus, insgesamt neun Fachkräfte und zwei Sozialpädagoginnen in den GebrauchtWare.
Allgemeine Informationen
Die Weißer Rabe soziale Betriebe und Dienste GmbH zählt zu den größten Inklusions- und Beschäftigungsunternehmen in Bayern. Wir betreuen, qualifizieren und beschäftigen Menschen mit Unterstützungsbedarf. Das können Menschen sein, die unter einer psychischen Erkrankung leiden, Menschen mit Behinderung oder suchtkranke Menschen, Menschen mit ausbaufähigen Deutschkenntnissen oder Menschen ohne Schulabschluss oder Ausbildung.
Unser Ziel ist, unseren Mitarbeiter*innen neue berufliche Chancen zu eröffnen und ihre Eigenständigkeit zu fördern. Derzeit sind rund 350 Menschen in zehn Betrieben und Projekten beschäftigt. Die Weißer Rabe soziale Betriebe und Dienste GmbH ist eine 100 % Tochter des Caritasverbandes der Erzdiözese München und Freising e. V. Wir sind nach DIN EN ISO 9001: 2015 und AZAV zertifiziert.
Die Weißer Rabe soziale Betriebe und Dienste GmbH beschäftigt in ihren Betrieben und Projekten unter anderem Mensch im Verkauf, in der Schneiderei, Helfer*innen für Umzüge, Entrümpelung, Garten- und Reinigungs- oder Reparaturarbeiten, Waldarbeiter*innen, Fahrer*innen sowie Servicepersonal für Gastronomie oder Einzelhandel. Dauerhafte Beschäftigung mit realistischer Arbeitssituation und sozialpädagogischer Begleitung unterstützt ein geregeltes Leben und die Rückkehr in den regulären Arbeitsmarkt.
Zur Zielgruppe der Weißen Rabe GmbH gehören unter anderem Langzeitarbeitslose, Menschen mit Fluchtgeschichte, Menschen mit psychischen Erkrankungen bzw. Beeinträchtigungen, Menschen mit Suchtproblematik und Menschen mit Schwerbehinderung.
Rund 50 geschulte Fachkräfte mit professionellen sozialen, pädagogischen und berufsfachlichen Fähigkeiten entwickeln vor Ort die Motivation, die Leistungsfähigkeit und die beruflichen sowie sozialen Kompetenzen der Mitarbeitenden. Sie bieten direkte Hilfe im beruflichen Alltag, fachpraktische und fachtheoretische Qualifizierung, Training sozialer Kompetenzen und unterstützen bei der Suche nach Ausbildungs- und Arbeitsplätzen.
Mit diesem Angebot hat in den vergangenen Jahren ein beachtlicher Teil der Mitarbeitenden den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt geschafft. Andere wiederum erarbeiteten sich mit dieser Unterstützung eine stabile Alltagsstruktur und entwickelten ihre Beschäftigungsfähigkeit weiter. Und alle Mitarbeitenden erleben das Eingebunden Sein in die betriebliche Gemeinschaft, die Orientierung an einem gemeinsamen Ziel und die Erfahrung der sozialen Teilhabe.