Dieser Artikel von Antje Funcke und Sarah Menne ist im Original in der forum arbeit 02/22 erschienen .
Nach wie vor gehören alleinerziehende Familien zu den Haushalten, die am häufigsten von Armut bedroht sind. Obwohl sie oft einer Erwerbstätigkeit nachgehen, können viele Alleinerziehende keine gesicherte Existenz für sich selbst und ihre Kinder aufbauen. Weitere Reformen sind daher notwendig, die ihnen ein Leben in finanzieller Sicherheit ermöglichen.
Daten und Fakten zu alleinerziehenden Familien
Alleinerziehende sind der Definition der amtlichen Statistik folgend Mütter und Väter, die ohne Ehe- oder Lebenspartner:in mit Kindern in einem Haushalt zusammenleben. Im Jahr 2019 lebten in Deutschland 1,52 Millionen alleinerziehende Familien mit minderjährigen Kindern, das entspricht einem Anteil von 18,6 % an allen Familien mit Kindern unter 18 Jahren. Darunter sind 1,34 Millionen alleinerziehende Mütter (88 %) und 185.000 alleinerziehende Väter (12 %).
Mit dieser Definition erfasst die Statistik die Lebensbedingungen von Trennungsfamilien leider nur unzureichend. Amtliche Daten zu den vielfältigen Betreuungsmodellen in getrennten Familien gibt es leider nicht. Damit können weder die gelebten Betreuungsmodelle abgebildet, noch statistisch fundierte Aussagen über den getrenntlebenden Elternteil und seinen Beitrag zur Erziehung und Versorgung der Kinder gemacht werden. Hier besteht dringender Nachbesserungsbedarf, was die Erhebung von Daten zu getrennten Familien betrifft. Da die Gruppe der alleinerziehenden Väter zudem relativ klein ist, ist auch hier die Datenlage schlecht. Im Folgenden kann daher überwiegend die Situation alleinerziehender Mütter näher betrachtet werden.
53 % der alleinerziehenden Mütter sind geschieden bzw. verheiratet getrennt lebend, bei den Vätern sind es 66 %. 43 % der Mütter und 26 % der Väter sind ledig, d. h. sie haben seit der Geburt des Kindes keine:n Partner:in im Haushalt oder lebten in einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft, sind nun aber getrennt. Ihr Anteil ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. 4 % der Mütter und 9 % der Väter sind verwitwet.
In Deutschland lebten im Jahr 2019 2,2 Millionen minderjährige Kinder mit einem Elternteil zusammen – das entspricht 16,2 % aller minderjährigen Kinder. Von ihnen leben 88,7 % bei ihrer Mutter und 11,3 % bei ihrem Vater.
Die Altersverteilung der Kinder in Ein-Eltern-Familien unterscheidet sich danach, bei welchem Elternteil sie leben: Alleinerziehende Väter leben häufiger mit weniger und mit älteren Kindern zusammen als alleinerziehende Mütter. Dies hat auch Auswirkungen auf deren Erwerbsmöglichkeiten.
Erwerbstätigkeit von alleinerziehenden Müttern
Alleinerziehende Mütter sind häufiger erwerbstätig als Mütter in Paarfamilien (71 im Vergleich zu 68 %) – und auch öfter in Vollzeit oder vollzeitnaher Teilzeit (28 bis 36 Stunden): 24 % der alleinerziehenden Mütter arbeiten Vollzeit, weitere 22 % in vollzeitnaher Teilzeit im Vergleich zu 16 bzw. 15 % in Paarfamilien (Zahlen für 2018).
Mit 28 % übt ein recht hoher Anteil von alleinerziehenden Müttern eine Tätigkeit aus, für die keine Ausbildung notwendig, sondern eine Einarbeitung oder Einweisung ausreichend ist. Bei den Müttern in Paarfamilien sind dies 20 %. Zudem sind 38 % der alleinerziehenden Mütter in einer Tätigkeit erwerbstätig, die nicht ihrem erlernten Beruf entspricht – bei den Müttern in Paarfamilien sind es 29 %. Dies könnte daran liegen, dass Alleinerziehende insgesamt zwar gut ausgebildet sind, alleinerziehende Mütter aber im Vergleich zu anderen Eltern am seltensten einen hohen Bildungsstand erreichen. Es ist aber auch ein Hinweis darauf, dass alleinerziehende Mütter verstärkt unter ihrem Qualifikationsniveau beschäftigt sind.
Alleinerziehende und Unterhalt
Unterhaltszahlungen spielen für die finanzielle Situation in alleinerziehenden Familien eine bedeutende Rolle. Seit der Reform des Unterhaltsrechts für den betreuenden Elternteil im Jahr 2008 haben geschiedene Alleinerziehende mit Kindern über drei Jahren in der Regel keinen Anspruch mehr darauf, dass ihr Ex-Partner ihnen Betreuungsunterhalt zahlt. Wenn das jüngste Kind drei Jahre alt ist und grundsätzlich eine Kinderbetreuung zur Verfügung steht, wird von geschiedenen Müttern eine Vollzeiterwerbstätigkeit erwartet.
Da Mütter sehr häufig beruflich für die Erziehung und Betreuung der Kinder zurückstecken, tragen sie die Kosten der zuvor in der Paarfamilie einvernehmlich gelebten Arbeitsteilung nach einer Trennung allein. Vergleicht man die Lebenserwerbseinkommen von Müttern und Vätern, so zeigen sich die Folgen dieser Entscheidungen sehr deutlich: Während die Mütter über ihr ganzes Leben bis ins Rentenalter deutliche Verluste in den Lebenserwerbseinkommen verzeichnen, auch weil sie Fürsorgearbeit übernommen haben, wirkt sich das Vaterwerden auf die Lebenserwerbseinkommen von Männern bisher nicht aus. Insgesamt manifestiert das Unterhaltsrecht damit die gesellschaftliche Geringschätzung von „Care- bzw. Fürsorgearbeit“.
Noch wichtiger als der Betreuungsunterhalt ist für die materielle Situation von Alleinerziehenden der Barunterhalt für das bzw. die Kind:er. Allerdings kommt bei vielen Kindern in alleinerziehenden Familien der Mindestunterhalt für die Kinder nicht an. Befunde aus zwei Studien zeigen, dass nur die Hälfte der unterhaltsberechtigten Kinder den ihnen rechtlich zustehenden Unterhalt erhalten. Dieser liegt jedoch in der Hälfte der Fälle unterhalb der Mindestzahlbeträge. Das bedeutete, dass nur ein knappes Viertel der Kinder einen Unterhalt erhält, dessen Höhe dem Mindestunterhalt entspricht oder ihn übersteigt. Dieser ausbleibende Unterhalt für die Kinder trägt erheblich zur Armutsbetroffenheit von alleinerziehenden Familien bei.
Armutsbetroffenheit von alleinerziehenden Familien
Alleinerziehende sind die am häufigsten von Armut betroffene Familienform. 40,4 % von ihnen waren laut Statistischem Bundesamt 2020 von Einkommensarmut betroffen, bei Paarfamilien mit einem Kind lag die Armutsgefährdungsquote im Vergleich bei 9 %, mit zwei Kindern bei 11,4 % und mit drei und mehr Kindern bei 31,2 %.
Alleinerziehende beziehen auch deutlich häufiger SGB II-Leistungen als Paarfamilien. Von allen Familienhaushalten mit Kindern im SGB II-Bezug (953.974) sind im Jahr 2020 mehr als die Hälfte (498.030, d. h. 52,2 %) alleinerziehend. Die SGB II-Quote von alleinerziehenden Haushalten in Deutschland ist in den letzten Jahren zurückgegangen, insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern. Dennoch liegt sie mit 33,5 % weiterhin auf einem sehr hohen Niveau. Einen Überblick über Unterschiede zwischen den Bundesländern sowie Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland gibt die folgende Abbildung.
Bei Alleinerziehenden steigt das Armutsrisiko zudem mit jedem weiteren Kind deutlicher an als bei Paarfamilien. Von den Alleinerziehenden mit drei oder mehr Kindern beziehen 70 % SGB II-Leistungen.
Arm trotz Arbeit? Das gilt insbesondere für Alleinerziehende
Eine Erwerbstätigkeit schützt gerade alleinerziehende Mütter nicht immer vor einem Abrutschen in Armut. Laut Statistischen Bundesamt waren im Jahr 2019 22,3 % der erwerbstätigen Alleinerziehenden armutsgefährdet (unter allen Erwerbstätigen waren es 8 %). Die Einkommenssituation alleinerziehender Familien kann nur bei einer Vollzeit-Erwerbstätigkeit der Mutter dauerhaft gesichert werden. Weniger als 2 % der Kinder, deren alleinerziehende Mutter langfristig in Vollzeit erwerbstätig ist, machen dauerhafte oder wiederkehrende Armutserfahrungen. Ist ihre Mutter dauerhaft in Teilzeit oder geringfügig erwerbstätig, machen bereits 20 % der Kinder dauerhafte oder wiederkehrende Armutserfahrungen, weitere 41 % temporäre. Bei den Kindern, deren alleinerziehende Mutter dauerhaft nicht erwerbstätig ist, sind 96 % der Kinder von Armut betroffen.
Die Erwerbssituation einer alleinerziehenden Mutter spielt damit für die finanzielle Lage der Familie und damit der Kinder eine viel entscheidendere Rolle als die einer Mutter in einer Paarfamilie, in der in den meisten Fällen beide Elternteile zum Einkommen der Familie beitragen. Im Ergebnis führt dies dazu, dass viele Alleinerziehende trotz Erwerbstätigkeit SGB II-Leistungen beziehen bzw. „aufstocken“ müssen. Unter allen Alleinerziehenden, die SGB II-Leistungen in Anspruch nehmen, sind 40 % erwerbstätig – bei den Single-Haushalten ist es nur ein Viertel.
Ganz klar: Wer weniger arbeitet und/oder weniger verdient, für den ist es schwer, sich selbst und ggf. noch weitere Personen von diesem Einkommen zu ernähren. Ein niedriger Stundenlohn und/oder geringer Erwerbsumfang haben daher den größten Einfluss darauf, ob eine Person aufstocken muss. Aber auch die familiäre Situation spielt eine entscheidende Rolle. Wie oben bereits angedeutet, haben Alleinerziehende bereits dann ein signifikant höheres Aufstocker-Risiko, wenn sie nicht in Vollzeit erwerbstätig sind. Genau dies ist für sie aber aufgrund ihrer alleinigen Fürsorgeverantwortung für ihre Kinder oft kaum möglich.
Welche Reformen schlagen wir vor?
Alleinerziehende leisten im Alltag enorm viel: Sie sorgen oftmals allein für ihre Kinder, sind umfänglich erwerbstätig, managen den Haushalt. Diese Verantwortung bringt viele von ihnen an ihre Belastungsgrenzen und gefährdet ihre Gesundheit. Dass dann trotz Arbeit Armut, Ausgrenzung und Stigmatisierungen das Ergebnis der Anstrengungen sind, darf nicht weiter hingenommen werden. Vielmehr verdienen Alleinerziehende Anerkennung, die sich in einer guten Politik für sie widerspiegeln muss. Wichtige Ansätze sind dabei:
- Einführung eines Teilhabegeldes oder einer Kindergrundsicherung, die die Bedarfe der Kinder unbürokratisch deckt und Armut gezielt vermeiden.
- Unterhaltsrecht reformieren, so dass Care-Arbeit anerkannt und der Grundsatz „familiärer Solidarität nach Trennung“ eingeführt wird. Beim Kindesunterhalt sollten Konflikte und ausbleibende Zahlungen verringert werden, indem die Unterhaltsansprüche bei der Berechnung des Teilhabegeldes auf den Staat übergehen.
- Lebensrealitäten von Alleinerziehenden und getrennten Familien besser erforschen, auch um Mehrbedarfe verschiedener Betreuungskonstellationen absichern zu können.
- Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern durch mehr qualitativ hochwertige ganztägige Bildungs- und Betreuungsinstitutionen sowie flexiblere Arbeitswelten.