Thiemo Fojkar, Vorstand der bag arbeit und Vorsitzender des Vorstandes des Internationalen Bunds (IB) Freier Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit e.V., bezieht Stellung:
Vergesst Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht!
Die Zahlen sind ernüchternd: Hierzulande gehen nur zehn Prozent der psychisch kranken Menschen mit chronischen oder schweren Verläufen einer regulären Erwerbsarbeit nach. Immerhin 20 Prozent besitzen einen „beschützten Arbeitsplatz“, fünf Prozent nehmen an beruflichen Trainings oder beruflicher Rehabilitation teil, 15 Prozent an Angeboten zur Tagesgestaltung. Fast die Hälfte ist gänzlich ohne jede Beschäftigung. Sie sind oft auf Grundsicherung angewiesen und haben keine echte Chance auf soziale Teilnahme.
Die Barrieren, die einer (Wieder-)Eingliederung entgegenstehen, sind vielfältig. Da ist zum einen die gesellschaftliche Stigmatisierung. Arbeitgeber:innen haben oft Hemmungen, psychisch beeinträchtigte Menschen einzustellen. Sie erwarten hohe Fehlzeiten und geringe Produktivität. Aber auch das Beharren öffentlicher Leistungsträger auf Standardmaßnahmen sowie Unzulänglichkeiten bei der Koordination von Einrichtungen und Maßnahmen sind ein Problem. Hinzu kommt die Konfusion Unterstützungsbedürftiger angesichts des Förder-Dschungels. Auch die Lage am Arbeitsmarkt spielt eine Rolle.
Menschen mit psychischen Erkrankungen bringen wie Menschen mit Behinderungen gewöhnlich große Motivation mit. Zudem sind sie genauso produktiv einsetzbar wie jede:r andere, sobald es eine den jeweiligen Fähigkeiten entsprechende Aufgabe gibt.
Für die berufliche Rehabilitation psychisch Erkrankter ist entscheidend, dass an der (Wieder-)Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt festgehalten wird und man individuelle Lösungen findet. Dazu zählen Potenzialanalysen, Qualifizierung und Einzelcoaching, zeitlich begrenzte, geschützte Erprobungsräume sowie Überzeugungsarbeit bei Arbeitgeber:innen.
Für die öffentliche Förderung gibt es eine wichtige Konsequenz: Standardmaßnahmen können nur ein erster Schritt sein. Gefragt ist eine individuelle Förderung, vor allem über ein persönliches Budget.
Der Text ist erschienen im: forum_arbeit_03-22_Psychische Erkrankungen
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