Kultursensibel integrieren: Erfolgsfaktoren für das on-Boarding internationaler Mitarbeitender in Organisationen
von Apl. Prof. Dr. Erika Spieß, Prof. Dr. Rita Berger, Prof. Dr. Julia A. M. Reif
von Apl. Prof. Dr. Erika Spieß, Prof. Dr. Rita Berger, Prof. Dr. Julia A. M. Reif
Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels und des verschärften internationalen Wettbewerbs sehen sich Organisationen vermehrt dazu veranlasst, internationale Arbeitskräfte, Fachkräfte und Arbeitsmigrant:innen anzuwerben und zu integrieren. Diese stehen jedoch vor einer doppelten Herausforderung: Sie müssen sowohl die neue Unternehmenskultur kennenlernen und sich in den neuen Arbeitsalltag einfinden (organisationale Sozialisation) als auch sich in der neuen Kultur des Gastlandes einleben (Akkulturation).
Arbeitsmigrant:innen müssen, wie alle Neueinsteigenden, neue berufliche Aufgaben meistern, sich in ein neues Team einfinden und die Unternehmenskultur sowie die geschriebenen und ungeschriebenen Normen und Regeln des neuen Arbeitsumfelds verstehen. Dieser Sozialisationsprozess im Unternehmen kann mit Unsicherheit, Stress und Ängsten einhergehen – Gefühle, die auf alle Neuankömmlinge in Unternehmen zutreffen können. Doch für Arbeitsmigrant:innen kommt noch eine weitere Herausforderung hinzu: Sie müssen sich in eine neue Landeskultur einfinden, sich mit deren Sprache, Arbeitsweise, Sitten und Gewohnheiten vertraut machen, Kulturstandards erlernen und sich dadurch akkulturieren (Reif, Spieß & Berger, 2017). Für Arbeitsmigrant:innen gleicht die Eingewöhnung im neuen Job also oft einem Balanceakt und die Doppelbelastung aus beruflichem Einstieg und kultureller Integration kann schnell zur Überlastung führen.
Auf der anderen Seite entsteht aber auch Belastung für Kolleg:innen und Führungskräfte, die mit Verhaltensweisen und anderen kulturellen Prägungen konfrontiert werden, die ihnen neu sind oder auch fremd erscheinen. Organisationen, Kolleg:innen und Vorgesetzte stehen vor der Frage, wie sie mit der neuen Situation und den neuen Teammitgliedern umgehen sollen. Missverständnisse sind somit vorprogrammiert, doch entstehen auch Chancen, voneinander zu lernen. Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden und Lernchancen nutzen zu können, sind interkulturelles Wissen, Flexibilität, Empathie und Geduld gefragt.
Abbildung: Akkulturation und Sozialisation – eine doppelte Herausforderung für neue internationale Mitarbeitende
Kultur gilt als ein relativ stabiles Orientierungssystem, das im Zuge von Erziehungs- und Sozialisationsprozessen ganz selbstverständlich von Menschen übernommen wird (Spieß, 2023). Kulturstandards sind typische Denk- und Verhaltensmuster, die in einer bestimmten Kultur von den meisten Menschen als selbstverständlich und verbindlich für sich selbst und für andere angesehen werden (z. B. Utler, 2021). Kulturstandards reichen von allgemeinen Werten und Prinzipien bis hin zu konkreten, verbindlichen Verhaltensregeln. Nach erfolgreicher Akkulturation werden sie nicht mehr bewusst wahrgenommen. Erst im Kontakt mit Personen aus anderen Kulturkreisen, werden uns Kulturstandards und die eigene kulturelle Prägung bewusst.
Foto: Julia Baumgart
Eine deutsche Führungskraft bittet einen neuen Mitarbeiter aus Indien zu einem Gespräch: „Unsere Kundschaft war nach Ihrer Präsentation etwas irritiert und hat Verbesserungen gewünscht. Das hat daran gelegen, dass Sie in Ihrer Präsentation stellenweise Dinge verwechselt haben.“ Der Mitarbeiter ist verlegen und antwortet: „Es gab Probleme mit meinem Sohn; ich konnte mich nicht konzentrieren.“ Die Führungskraft erwidert: „Das Private sollte nicht mit dem Beruflichen vermengt werden. Unsere Firma braucht gute Arbeit.“ Am nächsten Tag meldet sich der Mitarbeiter krank.
In Deutschland wird eine direkte Kommunikation bevorzugt, was in Ländern, in denen eher indirekte Kommunikation vorherrscht, zu Missverständnissen führen kann. Die gut gemeinte Kritik wird hier als persönliche Kritik wahrgenommen und daher nicht konstruktiv aufgenommen. Wie das Beispiel zeigt, ist hier kulturelle Sensitivität von allen Beteiligten gefragt
Foto: Julia Baumgart
Interkulturelle Kompetenz bedeutet, zu verstehen, dass Verhalten von der Kultur beeinflusst wird – sowohl bei sich selbst als auch bei anderen; die Kompetenz, die eigene kulturelle Prägung zu reflektieren und sich in die Perspektive von Menschen aus anderen Kulturen hineinzuversetzen; Toleranz gegenüber Mehrdeutigkeiten und Frustrationen, Flexibilität sowie Empathie (Herzfeldt & Sackmann, 2019). Interkulturelle Kompetenz ist sowohl für internationale Mitarbeitende als auch für deren Kolleg:innen und Vorgesetzte hilfreich. Beide Seiten können ein besseres Verständnis füreinander entwickeln und das Verhalten der jeweils anderen im kulturellen Kontext nachvollziehen – selbst, wenn es zunächst fremd erscheint.
Sowohl bei internationalen Mitarbeitenden als auch bei Kolleg:innen und Vorgesetzten geht es also darum, Unsicherheiten zu reduzieren und Lernprozesse anzustoßen. Das Bereitstellen von Informationen, zum Beispiel über kulturelle, geschichtliche, politische und soziale Hintergründe zum Herkunftsland von internationalen Mitarbeitenden ebenso wie vom Gastland oder zum Umgang mit kulturellen Konflikten kann dabei helfen, Ängste abzubauen und die Aufnahme neuer Informationen zu fördern.
Empowerment und soziale Unterstützung durch die Kollegschaft und Vorgesetzte können den internationalen Mitarbeitenden persönliche Kontrolle ermöglichen und den gegenseitigen Prozess des Lernens unterstützen. Durch Empowerment und soziale Unterstützung werden die Betroffenen im Sinne der Partizipation zu Beteiligten gemacht. Ihnen wird eine „Stimme“ (voice) gegeben. Auch aus motivationspsychologischer Sicht sind dies Aspekte, die tiefe menschliche Grundbedürfnisse nach Verbundenheit, Autonomie, Kontrolle und Verstehbarkeit adressieren.
Bei der Integration neuer Mitarbeitender kommt es darauf an, konkrete Informationen zum Unternehmen, seinen Produkten und Dienstleistungen, seiner Geschichte, zu zentralen Abläufen und zu internen Angeboten zu vermitteln. Auch die Förderung sozialer Kontakte ist wichtig, wozu z. B. die Vorstellung der neuen Mitarbeitender im Team und bei Kooperationspartner:innen oder das Einladen zu gemeinsamen Mittagessen, sozialen Veranstaltungen und anderen Unternehmensaktionen gehören.
Dies ist umso bedeutsamer, wenn es sich bei den neuen Mitarbeitender um Arbeitsmigrant: innen oder internationale Fachkräfte handelt. Und hier kommt die interkulturelle Kompetenz ins Spiel: Interkulturelle Kompetenz kann durch Trainings erworben werden. Diese Trainings sollten sowohl den internationalen Mitarbeitenden, als auch der Belegschaft, der Personalabteilung und Vorgesetzten angeboten werden. Auch Workshops und Trainingsmaßnahmen, die Arbeitsmigrant:innen, Kolleg:innen und Vorgesetzte als Teilnehmende zusammen bringen, können für eine Förderung des gegenseitigen Verständnisses hilfreich sein. Das Angebot von zweisprachigen Trainings oder Trainingsunterlagen stellt sicher, dass internationale Mitarbeitende arbeitsbezogene Inhalte verstehen können.
Das „Lernen im Kontext“ ermöglicht, gleichzeitig Sprach- und arbeitsbezogene Kompetenzen zu erwerben. „Sprachtandems“ beispielsweise führen internationale Mitarbeitende und die bestehende Belegschaft zusammen. Gemeinsam kann Sprache auf Konversationsniveau eingeübt werden, angeregt durch die Personalabteilung oder Vorgesetzte und unterstützt durch Betriebsräte (Reif et al., 2019). Die Befähigung der Personalabteilung durch Fortbildung bezüglich rechtlicher Aspekte bei der Beschäftigung von Arbeitsmigrant:innen kann die Integration voranbringen. Durch entsprechendes Know-how können beispielsweise administrative Hürden im Anerkennungsprozess besser gemeistert und Diskriminierung im Einstellungsprozess vermieden werden. Hilfreich erscheint auch die Vernetzung der Personalabteilung mit Einwanderungsbehörden und Hilfswerken, um den Informationsaustausch und die Unterstützung durch Netzwerke zu fördern.
Zugleich sollte ein wertschätzender Umgang mit anderen Kulturen in die Unternehmensleitlinien aufgenommen und in die Unternehmenskultur integriert werden. Gewinnbringende Aspekte der interkulturellen Zusammenarbeit sollten hier anhand von Best Practices betont werden: Kulturspezifische Erfahrungen und Fähigkeiten von internationalen Mitarbeitenden könnten genutzt werden, z. B. beim Einsatz von Arbeitsmigrant:innen für internationale Verhandlungen oder die Betreuung internationaler Kunden (Reif, Spieß & Berger, 2019). Ein wertschätzender Umgang zeigt sich auch in kleinen Gesten: Übersetzte Arbeitsunterlagen oder das Berücksichtigen kultureller Feiertage senden eine klare Botschaft der Akzeptanz. Gelingt es internationalen Neueinsteigenden und bestehender Belegschaft, akkulturative und sozialisationsbedingte Stressoren auf beiden Seiten erfolgreich zu bewältigen, kann eine erfolgreiche Integration von internationalen Mitarbeitenden in Organisationen gelingen.
Herzfeldt, E., & Sackmann, S. (2019). Interkulturelle Kompetenz – eine Schlüsselqualifikation von morgen. In S. Sackmann (Hrsg.), Führung und ihre Herausforderungen: Neue Führungskontexte erfolgreich meistern und zukunftsfähig agieren (S. 353-369). Springer Gabler.
Reif, J. A. M., Spieß, E. & Berger, R. (2019). Wie kann die Integration von Arbeitsmigrant*innen am Arbeitsplatz gefördert werden? Fachnetzwerk Sozialpsychologie zu Flucht und Integration. Abgerufen von http://www.fachnetzflucht.de/fragen/wie-verbessert-man-die-situation-fuer-die-gefluechteten/wie-kann-man-zugehoerigkeit-von-gefluechteten-foerdern/
Reif, J. A. M., Spieß, E. & Berger, R. (2017). Ein theoretisches Modell zur Integration von Arbeitsmigranten in Organisationen. Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO), 48, 61–68. https://doi.org/10.1007/s11612-017-0355-9
Spieß, E. (2023). Wirtschaftspsychologie. De Gruyter.
Utler, A. (2021). Kultur, Kulturdimensionen und Kulturstandards. In T. Ringeisen, P. Genkova & F. T. L. Leong (Hrsg.), Handbuch Stress und Kultur. Interkulturelle und kulturvergleichende Perspektiven (2. Aufl., S. 31–47). Springer.
Unsere Autorin Prof. Dr. Rita Berger ist Professorin an der Fakultät für Psychologie der Universität Barcelona im Bereich Arbeits- und Organisationspsychologie. Sie forscht und publiziert vor allem zu den Themen Interkulturelle Führung, Teams und Gesundheit in Organisationen.
Unsere Autorin Prof. Dr. Julia A. M. Reif ist Professorin an der Universität der Bundeswehr München. Sie forscht und publiziert zu den Themen Verhandlungen und Verhandlungsinitiierung, Teamprozesse, organisationale Akkulturation und Gesundheit in Organisationen.
Foto: Universität der Bundeswehr/Siebold
Unsere AutorinvApl. Prof. Dr. Erika Spieß ist an der Ludwig-Maximilians-Universität München im Seniorenstudium tätig. Sie forscht und publiziert vor allem zu den Themen Kooperation, interkulturelles Handeln in wirtschaftsnahen Kontexten, Gesundheit und Stress in Organisationen sowie Muße.