Von Fast Fashion zur Kreislaufwirtschaft
Die erweiterte Herstellerverantwortung
von Prof. Dr. Henning Wilts
von Prof. Dr. Henning Wilts
In Deutschland wird aktuell viel über die Altkleidersammlung diskutiert, seitdem mit Beginn des Jahres 2025 die EU-weite Pflicht zur getrennten Altkleidersammlung in Kraft getreten ist. Viele Menschen fragen sich seitdem, wie sie ihre nicht mehr benötigten Textilien richtig entsorgen sollen. Hier gibt es tatsächlich auch noch viel zu tun, insbesondere für die Kommunen – viel wichtiger als am Ende des Lebenszyklus die richtige Mülltonne zu finden, wäre aber die Frage, ob die Wertschöpfungskette insgesamt zirkulär angelegt ist, also ob das Design des Kleidungsstücks ein sinnvolles Recycling überhaupt zu lässt – und wie es sein kann, dass wir als Konsument:innen mit häufig absurd niedrigen Preisen dazu verleitet werden, überflüssig viel Kleidung zu kaufen. Tatsächlich hat sich Bekleidung in kürzester Zeit in Richtung „fast fashion“ entwickelt: Die Anzahl der hergestellten Kleidungsstücke pro Kopf hat sich mehr als verdoppelt, dementsprechend sinkt die Zahl der T-Shirts, Hemden etc., die tatsächlich genutzt werden. Bedenkt man, dass der Wasserverbrauch für ein einziges Baumwoll T-Shirt bei etwa 2.500 Litern liegt, bekommt man ein Gefühl, wie stark der Textil- und hier insbesondere der Bekleidungssektor zu einem Umweltproblem geworden ist.
Foto: Julia Baumgart
Vor diesem Hintergrund stellt sich zunehmend die Frage nach der Verantwortung der Unternehmen, die mit diesem linearen Modell des „Produzieren – Nutzen – Wegwerfen“ enorme Gewinne einfahren; die damit verbundenen Kosten aber zu großen Anteilen auf die Gesellschaft abwälzen. Dazu gehört die Frage, wieso in Deutschland beispielsweise die Entsorgung von Verpackungsmüll von denen finanziert werden muss, die uns damit Produkte verkaufen (der Gelbe Sack bzw. die Gelbe Tonne wird von den Unternehmen finanziert); die Entsorgung von Textilabfall aber über die Müllgebühr der privaten Haushalte bezahlt wird. Noch deutlicher wird diese fehlende Verantwortungsübernahme aber bei der Herstellung: Bekleidung ist auch deshalb so billig, weil die Unternehmen natürliche Ressourcen wie Wasser, Boden und Luft umsonst nutzen und sich an den Kosten der verursachten Verschmutzung in der Regel kaum beteiligen. Hinzu kommen in vielen Ländern fehlende Sozial- und Sicherheitsstandards; auch hier gibt es immer wieder erschreckende Beispiele von Strukturen, die noch immer Merkmale moderner Versklavung aufweisen. Selbst aus einer rein ökonomischen Sicht kommt es damit zu einer Verzerrung von Preissignalen und damit zu Fehlallokationen von Ressourcen: Solange Preise nicht die ökologische Wahrheit sagen, kommt es automatisch zu einer Überproduktion – mit dem Endeffekt, dass beispielsweise Unmengen an Retouren vernichtet werden, weil sie keinen Abnehmer mehr finden.
Genau hier setzt das Prinzip der erweiterten Herstellerverantwortung an: Unternehmen, die Produkte auf den Markt bringen und damit Gewinne erwirtschaften, sollen auch die Kosten durch den entstehenden stärker zirkulären Produktdesign bräuchte es zum einen klare und transparente Bewertungsmaßstäbe, beispielsweise für die Recyclingfähigkeit oder die mögliche Nutzungsdauer von Textilien – auf der Basis solcher Kriterien sollten dann die Unternehmen zu höheren Zahlungen verpflichtet werden, die minderwertige Produkte in Verkehr bringen; das würde natürlich insbesondere auch Plattformen wie Shein betreffen, die als Vertreter von „ultrafast fashion“ pro Tag bis zu 10.000 neue Designs auf den Markt werfen bzw. nach Deutschland exportieren. Studien im Auftrag des Umweltbundesamtes haben aufgezeigt, dass eine solche Herstellerverantwortung in sehr unterschiedlichen Formen umgesetzt werden könnte – von staatlichen Fondsmodellen bis hin zu deutlich stärker privat getragenen Systemen. Die Verantwortung liegt damit bei der Politik, möglichst schon im Koalitionsvertrag die Umsetzung der Herstellerverantwortung zu verankern und damit auch Planungssicherheit für alle Beteiligten – Hersteller, Recycler, aber natürlich auch Kommunen und VerbraucherInnen – zu schaffen. Die lineare Textilwirtschaft läuft erkennbar in eine Sackgasse; die Zukunft liegt in einer zirkulär gedachten textilen Kette – in der Qualität von Bekleidung und anderen Textilien endlich wieder vor Quantität gehen muss: Kleidung darf nicht zum Wegwerfartikel werden.
Foto: Julia Baumgart
Unsere Autor Prof. Dr. Henning Wilts
leitet die Abteilung Circular Economy am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Sein Forschungsschwerpunkt beschäftigt sich mit Transformationsprozessen zur Kreislaufwirtschaft: Wie lassen sich lineare Prozesse möglichst schnell in zirkuläre Wertschöpfung überführen? Warum sind wir nicht längst Kreislaufwirtschaft und wie kann Politik zentrale Hemmnisse überwinden? Dazu koordiniert er verschiedene Forschungsprojekte u.a. zu kommunalen Zero Waste Strategien und aktuell die Begleitforschung zur Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie. Seit 2023 vertritt er die Professur für Circular Economy an der Hafencity Universität Hamburg.