von Andreas Hammer
Mit dem § 16k SGB II wurde zum 1.7.2023 ein neues Förderinstrument geschaffen, das erwerbsfähigen Leistungsberechtigten zum Aufbau der Beschäftigungsfähigkeit und jungen Menschen zur Heranführung an eine oder zur Begleitung während einer Ausbildung offenstehen soll (ausführlich Hammer2024). Die Umsetzung kann durch die Jobcenter selbst erfolgen oder durch Träger über Ausschreibung oder als Gutschein-Maßnahme.
Im folgenden wird dem ökonomischen Aspekt dieses Instrumenteneinsatzes bei Trägern nachgegangen.
Vorgesehene Ausgaben im Referentenentwurf
Im Referentenentwurf waren für den § 16k SGB II 23 Mio. Euro Mehrausgaben jährlich bis 2026 bei rund 10.000 Zugängen pro Jahr vorgesehen. Die Darstellung des Aufwands wurde danach nicht mehr geändert. Die Berechnung im Gesetzentwurf ging von monatlichen Mehrausgaben von rund 192 Euro pro Zugang aus. Eine überschlägige Berechnung unter der Annahme von 50 Euro pro Betreuungsstunde einschließlich Vor- und Nachbereitung sowie Sachkosten einschließlich Fahrtkosten ergibt knapp vier Arbeitsstunden pro Monat, also etwas weniger als eine Stunde pro Woche und noch weniger für die Betreuung.
Angesichts der Zielsetzung der ganzheitlichen Betreuung erscheint der dafür vorgesehene Aufwand weder angemessen noch realistisch. Zudem ist zu berücksichtigen, dass eine Betreuung länger als 12 Monate dauern kann und im Falle der jungen Menschen am Übergang von der Schule und Beruf auch soll. Der Mehraufwand steigt dann auf über 23 Mio. Euro, wenn im Folgejahr weitere 10.000 Neuzugänge zu erwarten sind, da sich dann die Zahl der Teilnehmenden im Bestand kumuliert.
Insofern wurde die ganzheitliche Betreuung eingeführt, ohne den Eingliederungstitel entsprechend zu erhöhen. Das Instrument geht also auf Kosten anderer Instrumente.
Ausschreibung, Gutschein und Bundesdurchschnittskostensätze
Der Referentenentwurf hätte noch eine Förderung von Trägern nach dem Zuwendungsrecht der Bundeshaltsordnung (und damit auch eine Projektförderung) zugelassen. In der Schlussfassung ist nun eine Ausschreibung oder eine Gutschein-Basis nach der Verordnung über die Voraussetzungen und das Verfahren zur Akkreditierung von fachkundigen Stellen und zur Zulassung von Trägern und Maßnahmen der Arbeitsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (AZAV) vorgesehen, sofern die Jobcenter die Maßnahme nicht selbst durchführen wollen. Maßstab für Gutscheine sind sog. Bundesdurchschnittskostensätze (B-DKS), die für neue Maßnahmen nach zwei Jahren ermittelt werden.
„§3 (2) AZAV: Die Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht zweijährlich, erstmals im Jahr 2022, die durchschnittlichen Kostensätze nach § 179 Absatz 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch. Grundlage sind die der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Kostensätze der zugelassenen Maßnahmen der vorangegangenen zwei Kalenderjahre“ (Hervorhebung: AH).
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat aber von Anfang an die B-DKS von Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III (Heranführung an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sowie Feststellung, Verringerung oder Beseitigung von Vermittlungshemmnissen) als Referenz festgelegt. Dabei wird jedoch nicht berücksichtigt, dass in § 16k SGB II ausdrücklich eine aufsuchende Arbeit (Hammer 2023) ermöglicht werden soll und dass Zielgruppe eine größere Arbeitsmarktferne aufweisen kann. Auch hier zeigt sich, dass die finanzielle Ausstattung nicht zielführend ist.
Nach Beschwerden von Trägern (z.B. des Bildungsverbands (Abruf 5.7.2024)) über die Anwendung vorhandener, auf andere Instrumente bezogener B-DKS hat das Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) mitteilt, dass es jedem Träger freisteht, eine höheren Betrag als den B-DKS begründet zu beantragen. Das BMAS scheint hier keine Änderung zugunsten einer auskömmlicheren Finanzierung zu beabsichtigen.
Seit dem 1.7.2024 betragen die B-DSK sowohl für § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III als auch von § 16k SGB II 57,87 Euro je Stunde.
Personalanforderungen und Personalschlüssel
Das Gesetz selbst sieht keine formale Qualifikation des durchführenden Personals vor. Bei der beschriebenen Qualifikationsanforderung in den Fachlichen Hinweisen der BA handelt es sich um sollte-Beschreibungen. Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. empfiehlt weitergehende Qualifikationen. Möglicherweise wurde auf Personalanforderungen verzichtet, weil sie angesichts der aktuellen Arbeitsmarktsituation nur schwer zu realisieren wären oder weil sie nicht zum Personalbestand der Jobcenter passen. Andererseits ist eine adäquate Entlohnung von Fachkräften angesichts der B-DKS nicht einfach.
Einzelne Leistungsbeschreibungen von Jobcentern im Rahmen von Ausschreibungen zeigen, dass sie das fachliche Potenzial von § 16k SGB II durch ökonomische Vorgaben unnötig einschränken. So gibt es Ausschreibungen, die die Erbringung von Leistungen nach § 16k SGB II nur für ein Jahr vorsehen. Dies führt dazu, dass Maßnahmeträger ihrem Personal nur befristete Perspektiven bieten können. Da die individuelle Förderdauer dadurch noch kürzer ist, stellt sich die Frage, ob und wie in einem Jahr die Ziele von Teilnehmenden erreicht werden können. In einer Leistungsausschreibung war die individuelle Teilnahmedauer auf in der Regel sechs Monate festgelegt. Damit wird der Förderumfang begrenzt, hier beispielsweise auf maximal 40 Stunden Beratung pro Person begrenzt. Dieses Volumen entspricht rund 1,5 Stunden Beratung in der Woche. Die Maßnahmedauern und damit auch die individuellen Förderdauern werden aber auch durch die im Bundeshaushalt vorgesehene Verfügbarkeit von Verpflichtungsermächtigungen beeinflusst, die bestimmen, wie lange und in welchem Umfang Mittel durch das Jobcenter gebunden werden können. Sind die Verpflichtungsermächtigungen gering, dann werden Jobcenter Maßnahmen eher kürzer als länger ausschreiben.
Der mögliche Personaleinsatz variiert zwischen den Jobcentern: Es gibt Maßnahmen, in denen eine Person 10 Leistungsberechtigte betreut, oder auch 1:40. Bei einem Personalschlüssel von 1:40 erscheint eine aufsuchende Beratung in einem Flächenlandkreis mit entsprechenden Fahrtzeiten wirtschaftlich kaum realisierbar.
Eintritte und Bestand
In den ersten zwölf Monaten (Juli 2023 bis Juni 2024) nach der Einführung des Instruments wurden rund 11.866 Zugänge verzeichnet (Statistik der Bundesagentur für Arbeit; Daten Mai bis August 2024 hochgerechnet). Die Zahl liegt damit über den kalkulierten 10.000 Eintritten. Berücksichtigt man, dass zu Beginn des Instrumenteneinsatzes die Maßnahmen noch nicht ausgeschrieben bzw. die Gutscheine noch nicht zertifiziert waren, wäre bei einem etablierten Instrument mit noch mehr Zugängen in 12 Monaten zu rechnen. So lagen die Zugänge im Jahr 2024 stets über 1.000 Förderfällen pro Monat.
Von Juli 2023 bis Juni 2024 stiegen die Zugänge bis auf eine Ausnahme kontinuierlich an. Im Juli und August 2024 waren die Zugänge jedoch rückläufig, insbesondere von Juli auf August 2024 (- 420 Zugänge bzw. -23,3 Prozent). Dieser Rückgang ist möglicherweise auf den Entwurf des Bundeshaushalts 2025 zurückzuführen, der aus Sicht der Jobcenter und Träger eine deutliche Reduzierung der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel darstellt.
Der Bestand an Förderfällen lag im August 2024 bei rund 8.300. Von den rund 15.000 Eintritten bis August 2024 dürfte ein Großteil der Förderung beendet worden sein.
Ausgaben
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit haben die gemeinsamen Einrichtungen im Jahr 2023 681.000 Euro für die ganzheitliche Betreuung ausgegeben, das sind 113.500 Euro pro Monat. Damit wurden im durchschnittlichen Bestand 158 Teilnehmende mit einer durchschnittlichen Teilnahmedauer von 1,2 Monaten gefördert (die geringe Zahl ist aufgrund des Starts des Instruments zum 1.7.2023 plausibel). Die Ausgaben pro Fördermonat beliefen sich auf 358 Euro. Damit waren die Ausgaben je Fördermonat höher als vom Bund kalkuliert. Die Ausgaben pro Förderung betrugen 648 Euro. Die beiden letztgenannten Beträge sind möglicherweise noch nicht belastbar. Legt man zur Orientierung den im Jahr 2023 gültigen B-DKS von 53,59 Euro pro Stunde zugrunde, ergibt sich ein Umfang von 6,68 Stunden im Monat und 1,54 Stunden pro Woche.
Von Januar bis August 2024 belaufen sich die Ausgaben auf 13.124.000 Euro. Dies entspricht einem Monatsdurchschnitt von 1.640.500 Euro. Hochgerechnet auf das Jahr 2024 ergibt sich eine Gesamtsumme von 19.686.000. Hinzu kommen die Ausgaben der zugelassenen kommunalen Träger, für die noch keine Daten vorliegen.
Umfassende Beratung: 28b SGB III Entwurf
Die Bundesregierung plant eine dem § 16k SGB II vergleichbare Regelung im SGB III. Der Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Arbeitslosenversicherung und Arbeitsförderung (SGB III – Modernisierungsgesetz) vom 18.06.2024 sieht eine „Umfassende Beratung“ vor:
Im Vergleich zu § 16k (2) ist § 28b SGB IIIE umfassender, da hier auch Arbeit und nicht nur Ausbildung länger begleitet werden kann. Außerdem wird die Umfassende Beratung als Teil eines Fallmanagements definiert.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied besteht darin, dass die Aufgaben nicht durch Dritte erbracht werden können. Die Erbringung einer umfassenden Beratung durch zuständige Leistungsträger wie das SGB VIII (§ 22 SGB III) oder Träger bzw. Beratungsstellen im Sinne der Subsidiarität sind nicht vorgesehen.
Neben einmaligen Erfüllungsaufwand in Höhe von 2,8 Mio. Euro entsteht nach dem Referentenentwurf für die Bundesagentur für Arbeit ein jährlicher Erfüllungsaufwand (Personalkosten) in Höhe von 25,9 Mio. Euro. Zum Vergleich: für § 16k SGB II waren im Gesetzgebungsverfahren 23 Mio. Euro Mehrausgaben vorgesehen.
Vermutlich geht es bei der Einführung dieser gesetzlichen Grundlage zusammen mit den anderen vorgesehenen Regelungen um die Stärkung der Bundesagentur für Arbeit. Damit können die Voraussetzungen erfüllt werden, die Zuständigkeit zumindest eine Teilgruppe von jungen Menschen aus dem SGB II zum SGB III zu verlagern. Noch umfassender ist dies im Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung vorgesehen.
Fazit
Einführung und Akzeptanz
Mit der Ganzheitlichen Betreuung nach § 16k SGB II wurde zum 1.7.2023 im Rahmen des Bürgergeldgesetzes ein sinnvolles Instrument eingeführt. Die tatsächliche Inanspruchnahme durch Jobcenter, Träger und Leistungsberechtigte deutet auf eine schnelle und hohe Akzeptanz hin. Bislang waren 15.000 Eintritte zu verzeichnen.
Finanzielle Herausforderungen
Allerdings hat der Bund hierfür keine zusätzlichen Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt. Der Einsatz des Instruments führt somit zu einem Verzicht auf andere Instrumenteneinsätze. Zudem hat der Bund niedrige Kostensätze und damit auch niedrige Betreuungsstunden kalkuliert. Dies schlägt sich sowohl in niedrigen Bundesdurchschnittskostensätzen für Gutscheinmaßnahmen als auch in Ausschreibungen nieder.
Probleme bei der Umsetzung
Die fiskalischen Vorgaben führen zu kurzen individuellen Förderdauern, die die Zielerreichung „Beschäftigungsfähigkeit“ oder Begleitung während einer Ausbildung fraglich erscheinen lassen. Zudem ergeben sich kurze Maßnahmedauern, die besonders in Flächenlandkreisen mit größeren Fahrtzeiten und -kosten problematisch sind. Dies erschwert nicht nur die Fachkräftegewinnung und -bezahlung, sondern gefährdet auch die Nachhaltigkeit der Betreuung.
Vergleich und Ausblick
Das im SGB III-Modernisierungsgesetz vorgesehene Instrument der “Umfassenden Beratung”, das sich an der ganzheitlichen Betreuung orientiert, soll hingegen nicht von freien Trägern umgesetzt werden können. Dies widerspricht dem Subsidiaritätsprinzip, das die Einbindung freier Träger in die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik vorsieht.
Für die zweite Hälfte des Jahres 2024 ist mit einem deutlichen Rückgang der Inanspruchnahme der Ganzheitlichen Betreuung zu rechnen. Dies dürfte fiskalische Gründe haben, da die Jobcenter für 2025 mit einer unzureichenden finanziellen Ausstattung rechnen. Der Rückgang der Eintritte im August 2024 gegenüber Juli 2024 beträgt 23,3 Prozent.
Empfehlungen
Um das volle Potenzial der Ganzheitlichen Betreuung zu entfalten, sollte die Dominanz des ökonomischen Aspekts zugunsten des sozialpädagogischen Ansatzes reduziert werden. Konkret wird empfohlen:
- Verlängerung der Maßnahme- und individuellen Förderdauern auf mindestens 12 Monate.
- Anhebung der Bundesdurchschnittskostensätze, um eine qualitativ hochwertige Betreuung zu gewährleisten.
- Bereitstellung zusätzlicher Mittel, um den Einsatz des Instruments nicht zu Lasten anderer Maßnahmen zu finanzieren.
- Umsetzung als Projektförderung im Rahmen des Zuwendungsrechts
- Umsetzung der geplanten Umfassenden Beratung im SGB III durch Träger
Diese Anpassungen würden die Personalgewinnung und Planung bei den Trägern erleichtern und die Zielerreichung der Teilnehmenden verbessern. Langfristig könnte dies zu einer effektiveren Arbeitsmarktintegration und somit zu Einsparungen im Sozialsystem führen.
Unser Autor Andreas Hammer
hat vor über 30 Jahren den noch bestehenden Träger „Jugendwerkstatt e.V. – Produktionsschule in Baden“ gegründet. Seit vielen Jahren führt er Evaluationen und Fortbildungen durch, berät bei der Drittmittelakquise und Projektkonzipierungen
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Literatur
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (2024), Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Arbeitslosenversicherung und Arbeitsförderung (SGB III – Modernisierungsgesetz) vom 18.06.2024
Bundesagentur für Arbeit (2023), Anlage 1 zur Weisung “Umsetzung der ganzheitlichen Betreuung nach § 16k SGB II vom 26.05.2023. Abgerufen unter https://www.arbeitsagentur.de/datei/fachliche-weisung-zu-p-16k-sgb-ii_ba044156.pdf [9.6.2024]
Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. (Hrsg.) (2020). Empfehlungen des Deutschen Vereins zu aufsuchender Arbeit als eine Handlungsmöglichkeit in der Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II, Berlin.
Hammer, A. (2023). Hausbesuche bei Arbeitslosen. Forum Arbeit, Nr. 3/2023, 4-6.
Hammer, A. (2024): Ein Jahr ganzheitliche Betreuung im SGB II. Info also, Nr. 5/2024, 217-220