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bag arbeit trifft: Carolin Schenuit und Holger Bär

Bag trifft.. Carolin Schenuit und Holger Bär.  Carolin Schenuit ist geschäftsführende Vorständin und Holger Bär wissenschaftlicher Referent beim Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V.

1. Lässt sich die Ökologisierung von Marktwirtschaft einer mit sozial gerechten Politik verbinden?

Unbedingt! Häufig wird in der politischen Debatte suggeriert, dass eine anspruchsvolle Umwelt- und Klimapolitik unsozial wäre oder eine weniger klimaschädliche Wirtschaftsweise uns Jobs kosten würde. Das ist aber keinesfalls zwangsläufig so, sondern vor allem eine Frage der Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen.
Eine sozialverträgliche Gestaltung des grünen Strukturwandels ist ein elementarer Bestandteil dafür, dass der gesellschaftliche Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit auch als gerecht wahrgenommen wird. In der Zukunft muss gelten: am Markt haben die Unternehmen Wettbewerbsvorteile, die klimaschonend und ressourcensparend produzieren, deren Technologien möglichst effizient und langlebig sind. Für Konsumenten muss in Zukunft gelten:
diejenigen von uns, die sehr häufig fliegen, emissionsintensive Autos fahren, viel Fleisch verspeisen und in großen Häusern leben, werden entsprechend mehr Steuern und Abgaben zahlen als diejenigen, die umweltfreundlicher und sparsamer leben.

Einige Bestandteile dieser neuen Rahmenbedingungen:
1. Eine konsequente, planbar steigende CO 2 -Bepreisung, damit es für Bürger:innen und alle Unternehmen ein klares, finanzielles Signal gibt, keine bzw. weniger fossile Energien zu nutzen.
2. Abbau bzw. Umbau der fast 50 Mrd. €/Jahr an umwelt- und klimaschädlichen Subventionen, die weiterhin nicht-nachhaltige Verhaltens- und Verbrauchsweisen strukturell bevorteilen.

Aktuell bremsen diese Subventionen den Strukturwandel hin zu einer ökologischeren und sozialeren Marktwirtschaft aus. Nutznießer:innen sind zumeist vor allem Besserverdienende. Beispielsweise wird der Wettbewerb zwischen der Bahn und dem Flugzeug zugunsten des klimaschädlichen Fliegens systematisch verzerrt durch die Energiesteuerbefreiung von Kerosin und die Mehrwertsteuerbefreiung von Flugtickets.
Die höheren öffentlichen Einnahmen aus CO 2 -Bepreisung und der Reduzierung von Subventionen sollten genutzt werden, um gezielt einkommensschwache Haushalte zu entlasten, z.B. über eine Pro-Kopf-Pauschale als Rückerstattung. Diese ist kein Nullsummenspiel, sondern sorgt dafür, dass diejenigen, die umweltfreundlicher leben dafür finanziell entlastet werden. Was oft übersehen wird: Geringverdienende haben aufgrund sparsamerer Konsummuster in der Regel geringere persönliche Emissionen als Besserverdienende.

2. Wie schätzen Sie die Auswirkungen einer ökologischen Modernisierung der Gesellschaft auf die Beschäftigung
ein?

Praktisch alle Studien zu dieser Frage zeigen: uns geht die Arbeit auch in Zukunft nicht aus. Durch den Strukturwandel verschwinden zwar Jobs in einigen Branchen, aber es entstehen auch neue Jobs in anderen Branchen. Klimaschutz, Energiewende, Digitalisierung, Kreislaufwirtschaft, demografischer Wandel – all diese sogenannten Megatrends sorgen dafür, dass es Bedarf an Forschung und Entwicklung, Konzeption und Planung, Umsetzung und Wartung und Pflege gibt. Damit sind auch Änderungen in den Berufsbildern, Jobprofilen und Qualifikationsbedarfen verbunden. Solche Veränderungen der Wirtschaftsstrukturen sind kein neues Phänomen, sondern Bestandteil und Kerngedanke einer sich beständig verändernden Marktwirtschaft.

3. Welche Rolle spielen dabei die sogenannten „grünen Jobs“?

„Grüne Jobs“ sind nicht einfach zu definieren. Einerseits gibt es Jobs in „grünen“ Sektoren, wie den Erneuerbaren Energien, andererseits „grüne Tätigkeiten“ in konventionellen Industrien, die diese weniger umweltschädlich und klimafreundlicher machen. Beispiele hierfür sind das Recycling von Rohstoffen, die Reparatur von Produkten, die Umsetzung von Maßnahmen zu Energieeffizienz und Klimaschutz etc. Jobs im ersten Bereich gut zu zählen. So arbeiten heute in den erneuerbaren Energien in Deutschland 300.000 Menschen – drei Mal so viele wie noch vor 20 Jahren und deutlich mehr als im Bereich der fossilen Energien. Mit Blick darauf, dass wir in Deutschland und weltweit noch sehr viel mehr erneuerbare Energien ausbauen werden, ist klar, dass dieser Sektor das Potenzial hat, in Deutschland und weltweit ein echter „Jobmotor“ zu sein.

Grundsätzlich zeigen Studien, dass grüne Technologien mit einer höheren Arbeitsintensität verbunden sind als konventionelle Technologien. Mit dem Strukturwandel von einer konventionellen Landwirtschaft mit hohem Pestizideinsatz hin zu einer ökologischeren Landwirtschaft entsteht z.B. Bedarf an Ingenieuren und Agrarexperten, die mithilfe digitaler Technogien und genauer Boden- und Pflanzenanalyse viel weniger Dünger und Pestiziden benötigt werden und weiterhin gute Erträge erwirtschaftet werden können. Viele dieser neuen Beschäftigungsmöglichkeiten erfordern auch neue Aus- und Weiterbildungsangebote in den „grünen Jobs“.

4. Berufsbilder verändern sich rasant. Werden die aktuellen Weiterbildungsangebote den Veränderungen gerecht?

In vielen Sektoren wissen wir, dass der technologische und strukturelle Wandel hin zur Klimaneutralität auch deutliche Veränderungen der Berufsbilder mit sich bringen wird. Qualitativ hochwertige Aus- und Weiterbildung ist zentral dafür, dass neue Berufschancen auch ergriffen werden können und der Bedarf an qualifizierten Facharbeiter:innen gedeckt werden kann. Deutschland ist dabei mit seinem dualen Ausbildungssystem und einer vielfältigen Hochschul- und Forschungslandschaft grundsätzlich gut gerüstet, um diesen Veränderungsbedarf auch zu realisieren.

  1. Wichtig sind dabei aus unserer Sicht drei Aspekte: Eine konstruktive und intensive Zusammenarbeit von Arbeitgeber:innen und Bildungsanbieter:innen, um einen passenden Zuschnitt und relevante Fokussierung der Weiterbildungsangebote zu ermöglichen und sicherzustellen;
  2.  Besonders für die Beschäftigten der Branchen, die einen sukzessiven oder manchmal auch raschen Rückgang erleben werden, ist es elementar, dass Um- und Weiterbildungsmöglichkeiten vorhanden sind und so rasch wie möglich genutzt werden können und so erst gar keine existenziellen, finanziellen Risiken oder Engpasssituationen entstehen;
  3. Der Übergang vom „Alten“ ins „Neue“ muss mit einer guten Qualität der Beschäftigungsverhältnisse einhergehen. Für die Akzeptanz der erforderlichen, persönlichen Veränderungen ist es wichtig, dass neue Arbeit auch zu fairen
    Bedingungen erfolgt.

Stand heute sind diese Anforderungen noch nicht vollumfänglich erfüllt, doch wir stehen auch erst am Anfang der Transformation. Es ist eine wesentliche sozial- und bildungspolitische Aufgabe, mitzugestalten, dass die Veränderungsprozesse so zukunftsorientiert gestaltet werden und nicht nur zu ökologischen, sondern auch sozialpolitischen Verbesserungen beitragen.

5 Welche institutionellen Rahmenbedingungen müssen akut geschaffen werden, damit möglichst alle von einer sozial-ökologischen Wende profitieren?

Je schneller und engagierter wir in Deutschland den erforderlichen Strukturwandel angehen, desto besser wird die deutsche Volkswirtschaft auch in Zukunft aufgestellt sein. Wir sind als Technologieland gut dafür gerüstet, wettbewerbsfähige Produkte und Prozesse entwickeln, die ein Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen ermöglichen. Um unsere Möglichkeiten gut zu nutzen, braucht es Veränderungsbereitschaft und Gestaltungswillen auf allen Ebenen – in Politik, in Unternehmen und bei Beschäftigten.
Am dringendsten ist dabei die Politik gefragt, denn eine entschiedene Reform der institutionellen Rahmenbedingungen ist die Voraussetzung dafür, dass weitere Veränderungsprozesse rasch und zielgerichtet erfolgen können. Aktuell stützt der Status quo noch zu häufig nicht-nachhaltige Geschäftsmodelle und Technologien und bremst die Nutzung und Wettbewerbsfähigkeit von grünen Produkten, Dienstleistungen und damit auch Beschäftigung in diesen Bereich.

Ein zentraler erster Schritt ist die Erkenntnis, wie grundlegend die Aufgabe ist, sehr schnell wirksamen Klimaschutz zu erreichen. Daraus folgt die Notwendigkeit, wirtschaftliche Handlungsmaximen und die Leitlinien für das Handeln von Institutionen konsistent anzupassen. Das schließt den Auftrag und das Design der Institutionen selbst mit ein, z.B. der Rechnungshöfe, die die öffentlichen Haushalte und Ausgaben zukünftig auch nach ihrer Klima- und Umweltschädlichkeit und ihrer Zukunftsfähigkeit beurteilen müssten. Zwar ermöglichen die Regeln der öffentlichen Beschaffung, soziale und ökologische Kriterien zu berücksichtigen – in der Praxis wird aber vor allem anhand des (vermeintlich) günstigsten
Angebots beschafft und ökologische und soziale Folgekosten werden ausgeblendet.
Eine Reform der Schuldenbremse, die die benötigten höheren Investitionen in den sozial-ökologischen Wandel ermöglicht, gehört ebenso zu diesen Rahmenbedingungen wie eine kluge Einbindung der privatwirtschaftlichen Finanzmärkte, auf denen viele Investor:innen nach guten und nachhaltigen Anlagemöglichkeiten suchen. Dabei kann und muss der Staat als Impulsgeber und Beispielgeber agieren. Viele Ökonom:innen, sowohl aus arbeitgeber- als auch arbeitnehmernahen Kreisen, mahnen an, dass unsere öffentlichen Investitionen in Deutschland in wichtige Zukunftsbereiche – in Digitalisierung, Klimaschutz und der öffentlichen Daseinsvorsorge – seit Langem viel zu niedrig sind.

Auch die Gestaltung unserer Staatseinnahmen kann den Strukturwandel unterstützen. Mit der Art und Weise, wie wir unser Gemeinwesen finanzieren, entscheiden wir ganz wesentlich über dessen zukünftige Ausrichtung mit. Wofür wir Steuern zahlen, was der Staat fördert, wie er das private Finanzsystem einbindet (z.B. über die EU-Taxonomie für nachhaltige ökonomische Tätigkeiten) und in welche Bereiche er selbst investiert, hat großen Einfluss darauf, wie nachhaltig, wettbewerbsfähig und sozial unser Land ist. Zentrale Baustellen hier sind beispielsweise die konsequente Weiterentwicklung der CO2-Bepreisung und anderer Umweltsteuern, der Abbau umweltschädlicher Subventionen und die stärkere Nutzung von Umweltsteuern, zusätzlich zu gezielten öffentlichen und privaten Investitionen in den Wandel.

Eine ökologische Modernisierung unsere Wirtschaftsweise bietet enorme Chancen. Nicht nur, weil wir damit unsere Lebensgrundlagen nicht weiter zerstören, sondern auch für unternehmerischen Erfolg und gute Beschäftigung. Eine Ökologisierung der „sozialen Marktwirtschaft“ behebt aber nicht automatisch die Reformbedarfe im sozialen Bereich unserer Wirtschaftsordnung. In beiden Bereichen müssen „Schalter umgelegt werden“, um den politischen Rahmen für unser Wirtschaften und Arbeiten auf die Herausforderungen einer wirklich nachhaltigen Lebensweise auszurichten.

Optional zu Frage 5:

Abbildung 1 : Drei Säulen einer Klima-Finanzpolitik als Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaften

Quelle: https://foes.de/publikationen/2021/2021-08_FOES_Nachhaltige_Finanzpolitik.pdf