Dieser Artikel von Ute B. Schröder ist im Original in der forum arbeit 03/22 erschienen.
Angststörungen, Depressionen, Zwangsstörungen oder Burnout (als Zusatzdiagnose) sind die führenden psychischen Erkrankungen in Deutschland. Mehr als 18 Millionen Menschen, das ist jeder vierte Erwachsene hierzulande, erfüllt jährlich die Kriterien einer psychischen Erkrankung. Dies spiegelt sich auch in der Arbeitswelt wider: Psychische Erkrankungen sind für 16% aller Arbeitsunfähigkeitstage verantwortlich, mit durchschnittlich 35 Tagen verursachen sie die längsten krankheitsbedingten Abwesenheitszeiten. Auch sind 43% der krankheitsbedingten Frühverrentungen auf psychische Erkrankungen zurückzuführen.
Auslöser für eine psychische Krise liegen aus der Perspektive der Zurückkehrenden entweder im Bereich der Arbeit, im Privaten oder aus einer Kombination von beidem. Bezogen auf die Arbeit können die Arbeitsbedingungen und/oder die Einstellung zur Arbeit belastungs- bzw. beanspruchungsintensiv sein: beispielsweise wird über hohe Leistungsanforderungen, Konflikte am Arbeitsplatz, eine mangelnde Anerkennung und/oder über eine hohe Verausgabungsbereitschaft berichtet5. Als private Umstände werden häufig Pflege und Tod von Angehörigen, die Trennung von Partner:innen oder die Sorge um die Kinder genannt, die psychisch belasten. Je komplexer die Belastungskonstellationen sind, desto schwieriger ist es, die Krise zu bewältigen.
Eine psychische Krise kann jede:r erleben. Deshalb kommt es darauf an, Vorurteile gegenüber psychischen Erkrankungen abzubauen und Risikofaktoren zu erkennen. Im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) mit flexiblen Maßnahmen und im Zusammenspiel von individuellen und betrieblichen Ressourcen gelingt eine nachhaltige Rückkehr an den Arbeitsplatz am besten.
Wie kann eine Rückkehr gut gelingen? – Vier Phasen des Vorgehens
Für eine gelingende Rückkehr an den Arbeitsplatz ist es wichtig, den Prozess klar zu strukturieren. Alle Beteiligten, d.h. der:die zurückkehrende Beschäftigte, betriebliche Verantwortliche wie z.B. Betriebsärzt:innen, Interessenvertretungen als auch die Personalabteilung, die direkten Vorgesetzten und das Arbeitsteam kooperieren dabei auf Augenhöhe. Gegenseitiges Vertrauen sowie Flexibilität sind Erfolgsfaktoren.
Das Vier-Phasen-Modell beschreibt einen systemisch orientierten Prozess, indem medizinisch therapeutische Maßnahmen sowie individuelle, soziale und arbeitsgestaltende Maßnahmen ineinandergreifen und sich gegenseitig ergänzen. Das Ziel ist, die Arbeits- und Leistungsfähigkeit der zurückkehrenden Mitarbeiter:innen durch eine professionelle Vorbereitung und Begleitung zu sichern bzw. im Verlauf der Wiedereingliederung zu verbessern. Die Rückkehr zur Arbeit ist in diesem Sinne individuelle Beratung und Unterstützung, Teamentwicklung bzw. Teamarbeit sowie betriebliche Organisationsentwicklung. Idealerweise steuert ein:e RTW-Expert:in diesen Prozess. Das Ziel ist eine gelingende und nachhaltige Wiedereingliederung, die durch ein BEM-Angebot des Arbeitgebers initiiert wird und von einer freiwilligen Teilnahme der BEM-Berechtigten abhängig ist. Im Mittelpunkt stehen die Zurückkehrenden und ihre RTW-Geschichten, ihr Weg in die Krise, ihre Erfahrungen, ihre Bedürfnisse und Wünsche sowie die dazu erforderlichen individuellen, sozialen und arbeitsgestaltenden Maßnahmen und Ressourcen. Dafür muss der Betrieb nicht die Diagnose kennen, sondern die aktuellen Einschränkungen der Arbeits- und Leistungsfähigkeit und wie diese überwunden werden können. Motivation, Vertrauen und Zutrauen, Akzeptanz, Selbstsorge und betriebliche Fürsorge sowie ein dialogisches Handeln sind Ausdruck dieses Prozesses.
Phase 1 – Eine gemeinsame Perspektive entwickeln
Die erste Phase liegt noch vor der Rückkehr an den Arbeitsplatz. Nach einer psychischen Krise sollte die Wiedereingliederung mit den Zurückkehrenden gut vorbereitet werden. In Vier-Augen-Gesprächen von Zurückkehrenden und RTW-Expert:innen geht es um Vertrauensaufbau, darum den Weg in die Krise zu verstehen und mögliche Maßnahmen und Ressourcen der Wiedereingliederung zu besprechen. Aufbauend auf diesem Wissen wird eine RTW-Strategie entwickelt, die Grundlage für den gesamten Prozess der Rückkehr an den Arbeitsplatz ist. Dieser Prozess ist emotionale Schwerstarbeit und ein bedeutender Aspekt der Bewältigung einer psychischen Krise.
Phase 2 – Einen Plan abstimmen
Die Phase zwei ist ein kreativer Such- und Verständigungsprozess, in dem die in Phase eins entwickelte RTW-Strategie mit der betrieblichen Situation in Abstimmung gebracht wird. Auch diese Phase liegt zeitlich noch vor der tatsächlichen Rückkehr an den Arbeitsplatz. In vertiefenden Betriebs- und BEM-Gesprächen legen RTW-Expert:innen und Beschäftigte gemeinsam fest, welche betrieblichen Maßnahmen vor und während der Wiedereingliederung begonnen werden. Geklärt wird, welche arbeitsbezogenen Belastungsfaktoren und beeinträchtigenden Beanspruchungsfolgen mit Blick auf die Arbeitsfähigkeit der Zurückkehrenden zu berücksichtigen sind. Sowohl eine Überforderung als auch eine Unterforderung sollten vermieden werden. Ein guter Weg ist, die Möglichkeiten des:der Zurückkehrenden, als auch die betrieblichen Möglichkeiten zu erkunden. Schlüsselakteure im BEM-Dialog sind von betrieblicher Seite z.B. BEM-Beauftragte, betriebliche Interessenvertretungen, Betriebsärzt:innen, Personalverantwortliche und besonders wichtig sind die direkten Vorgesetzten. BEM-Gespräche sind lösungsorientiert, finden in einer vertrauensvollen Atmosphäre statt, sind ressourcenorientiert und berücksichtigen ein flexibles Vorgehen.
Phase 3 – Gemeinsam Handeln
In dieser Phase kehren die Beschäftigten an den Arbeitsplatz bzw. in den Betrieb zurück. Ideal ist dafür die Stufenweise Wiedereingliederung (STWE) als therapeutische Maßnahme, bei der die Zurückkehrenden – noch krankgeschrieben – ihre berufliche Belastbarkeit erproben, neue Verhaltensweisen trainieren und ihre Selbstwirksamkeit stabilisieren. Die zurückkehrenden Beschäftigten, ihre direkten Vorgesetzten, Kolleg:innen, betriebliche Vertrauenspersonen sowie BEM-Beauftragte, Betriebsärzt:innen als auch externe Expert:innen (bei Bedarf) gestalten den Prozess. Erfolgsfaktoren sind konstruktiv zusammenzuarbeiten, sich gegenseitig zu unterstützen und ein vertrauensvoller Umgang miteinander. Ein wichtiger Aspekt ist dabei, kritische Situationen schnell zu erkennen und sich damit auseinanderzusetzen. Dazu dienen kontinuierliche Reflexionsgespräche zwischen Zurückkehrenden und z.B. BEM-Verantwortlichen und/ oder Führungskräften sowie die Stabilisierung der Zurückkehrenden und Achtsamkeit aller Beteiligten. Aufgabe der Führungskraft ist es, die Stimmung im Arbeitsteam im Blick zu haben, auf Unsicherheiten, Ängste, Unstimmigkeiten und Konflikte einzugehen und diesen zu begegnen, denn eine gute Arbeitsatmosphäre trägt zum Wohlbefinden aller bei.
Phase 4 – Rückfälle vermeiden
Die Arbeitsfähigkeit soll langfristig erhalten bleiben und Erreichtes gesichert werden. Im Vordergrund stehen dafür Nachsorge und Prävention, d.h. der Erhalt und die Förderung der Arbeitsfähigkeit. Das gelingt durch eine sensible Selbstsorge, die die eigenen Belastungsgrenzen im Blick hat und einen angemessenen Umgang mit der Belastung bei der Arbeit ermöglicht. Konkret heißt das: achtsam bleiben, erneute Überforderung vermeiden, Krisensymptome frühzeitig erkennen und gemeinsam entschlossen gegensteuern. Eine Selbsthilfegruppe, Gespräche mit vertrauten Kolleg:innen und bei Bedarf Gespräche mit RTW-Expert:innen begleiten die Phase der Nachsorge.
Leseempfehlungen
Diese und viele weitere Erkenntnisse und Handlungsideen sind in der Broschüre „Die Rückkehr gemeinsam gestalten – Wiedereingliederung nach psychischen Krisen“ zu finden: https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Praxis/A106.html
Fakten zu den Themen BEM, Selbstwirksamkeit, Gesprächsführung, Psychosomatische Sprechstunde im Betrieb und Stufenweise Wiedereingliederung lassen sich gleichfalls auf der BAuA-Website: https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Fakten/RTW-1.html nachlesen.
Für eine weiterführende Auseinandersetzung mit dem Thema psychische Krisen und Wiedereingliederung sei auf den Bericht zum BAuA-Forschungsprojekt F 2386 https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/F2386.pdf?__blob=publicationFile&v=1 und das Buch „Anders Gesund – Psychische Krisen in der Arbeitswelt: Prävention, Return-to-Work und Eingliederungsmanagement (2018). Stegmann, R; Schröder, UB. Wiesbaden: Springer. ISBN: 978-3-658-17881-9 verwiesen.