Positionspapier
Position: Arbeitsmarktpolitik neu denken – Integration und Qualifizierung im Fokus
20.03.2025 | Featured, News, Positionen, Sozialer Arbeitsmarkt, Themen
Die in der bag arbeit e.V. zusammengeschlossenen Unternehmen engagieren sich in der Bildungs- und Arbeitsförderung. Sie setzen ihre fachliche und soziale Kompetenz ein, um arbeitslosen Menschen Chancen auf soziale und berufliche Integration zu bieten. Unsere Mitgliedsunternehmen verstehen sich als arbeitsmarkt- und bildungspolitische Dienstleister und agieren als soziale Unternehmer.
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Herausforderungen und Handlungsbedarf
Der deutsche Arbeitsmarkt steht vor wachsenden Herausforderungen. Der Fachkräftemangel belastet die Wirtschaft und wird durch den demografischen Wandel weiter verschärft. Gleichzeitig gibt es viele arbeitslose Menschen, insbesondere Langzeitarbeitslose und Zugewanderte, deren Potenzial nicht ausreichend genutzt wird. Die bestehenden arbeitsmarktpolitischen Instrumente greifen nicht wirksam genug, sodass vielen Betroffenen der Zugang zu stabilen Beschäftigungsverhältnissen verwehrt bleibt. Eine zielgerichtete Anpassung der Förderstrukturen ist notwendig, um nachhaltige Integration zu ermöglichen.
Statt arbeitslose Menschen gezielt zu qualifizieren und auf langfristige Beschäftigung vorzubereiten, dominieren eher kurzfristige Maßnahmen, nicht zentral auf Qualität gerichtete Vergabeverfahren und Sparzwänge. Förderprogramme, die nachhaltige Eingliederung ermöglichen könnten, werden nicht bedarfsgerecht finanziert oder bleiben ungenutzt. Gleichzeitig steigen die Verwaltungskosten auf ein Rekordniveau, während die Zahl erfolgreicher Übergänge in Erwerbstätigkeit stetig sinkt. Diese Entwicklungen zeigen, dass eine grundlegende Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik erforderlich ist. Bestehende Mittel müssen gezielt eingesetzt werden, um die soziale und berufliche Integration von Arbeitslosen zu fördern und dem Fachkräftemangel wirksam zu begegnen.
Unsere Forderungen für eine Reform der Arbeitsförderung
Für eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration und eine effektive Förderpolitik sind folgende Maßnahmen erforderlich:
- Erhalt und Optimierung von Beschäftigungsmaßnahmen mit einer stärkeren Verzahnung von Qualifizierung und Coaching
- Transparente und bedarfsgerechte Berechnung der Verwaltungskosten der Jobcenter für eine effiziente Mittelverwendung
- Vergabe- und Förderstrukturen, die Qualität und nachhaltige Wirkung der Maßnahmen sicherstellen
- Faire Vergütung und Arbeitsbedingungen für pädagogische Fachkräfte
- Verlässliche und auskömmliche Finanzierung des “Gesamtprogramms Sprache” und ein Anspruch auf adäquate Sprachförderung für alle Zugewanderten
1. Beschäftigungsmaßnahmen verbessern und Qualifizierung ausbauen
Beschäftigungsmaßnahmen schaffen soziale Teilhabe und ermöglichen eine schrittweise Annäherung an den Arbeitsmarkt. Sie sind ein wesentlicher Baustein zur Stärkung der individuellen Erwerbsfähigkeit. Besonders marktnah durchgeführte Programme können das Leistungsvermögen der Teilnehmenden verbessern und ihre Integration unterstützen. Doch reine Beschäftigung alleine reicht oft nicht aus, um langfristige Arbeitsmarktintegration zu gewährleisten. Qualifizierung und Coaching müssen mit den Maßnahmen verzahnt sein und sowohl vor als auch nach einer Arbeitsaufnahme erfolgen.
Eine zu schnelle Vermittlung führt häufig dazu, dass Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen landen oder rasch wieder arbeitslos werden. Statt kurzfristiger Lösungen braucht es gezielte, aufeinander aufbauende Fördermaßnahmen, die nicht nur eine schnelle Vermittlung ermöglichen, sondern auch langfristige Perspektiven eröffnen. Besonders Qualifizierung muss dabei flexibler gestaltet werden – sowohl vor der Arbeitsaufnahme als auch begleitend im Job, um Übergänge in stabile, existenzsichernde Beschäftigung zu erleichtern.
Das Teilhabechancengesetz (§ 16i und e SGB II) hat sich als wirksames Instrument für die Arbeitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosen erwiesen. Dennoch wird es finanziell immer weiter ausgehöhlt. Die Zahl der Eintritte für § 16e erreichte im Dezember 2024 den niedrigsten Stand seit Einführung des Instruments im Jahr 2019, und auch die Nutzung von § 16i nimmt kontinuierlich ab. Dies ist besonders problematisch, da das Teilhabechancengesetz das einzige Instrument ist, das gezielt auf eine langfristige Integration von Langzeitarbeitslosen zugeschnitten ist. Ohne eine angemessene Förderung droht dieser Gruppe eine dauerhafte Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt und der Gesellschaft.
Um diese Entwicklung zu stoppen, sind zusätzliche finanzielle Mittel erforderlich. Zudem muss die jährliche Begrenzung der 16i-Finanzierung aufgehoben und durch mehrjährige, gesicherte Budgets ersetzt werden. Planungssicherheit für Träger und Teilnehmende ist entscheidend, um nachhaltige Integrationsprozesse zu ermöglichen. Wir fordern daher:
- Eine enge Verknüpfung von Beschäftigungsmaßnahmen mit Qualifizierung und Coaching, damit Teilnehmende gezielt auf den ersten Arbeitsmarkt vorbereitet werden.
- Flexiblere Qualifizierungs- und Coachingangebote, die sowohl vor als auch nach der Arbeitsaufnahme greifen, um nachhaltige Beschäftigung zu sichern.
- Eine auskömmliche Finanzierung der Maßnahmen, um langfristige Beschäftigungsperspektiven und stabile Strukturen zu gewährleisten.
- Eine Verstetigung und bedarfsgerechte Anpassung des Teilhabechancengesetzes, um langfristige Planungssicherheit zu gewährleisten und nachhaltige Integration zu fördern.
2. Verwaltungskosten der Jobcenter realistisch berechnen
Die Finanzierung der Jobcenter muss sowohl die Eingliederung arbeitsloser Menschen als auch die erforderlichen Personal- und Sachkosten angemessen berücksichtigen. Da die Verwaltungskosten mit den Eingliederungsleistungen deckungsfähig sind, wurden die steigenden Verwaltungsausgaben in den letzten Jahren zunehmend aus dem Eingliederungstitel finanziert. Einige Jobcenter leiten bis zu 70 % ihrer Mittel in die Verwaltung um, wodurch immer weniger Mittel für die direkte Förderung arbeitsloser Menschen zur Verfügung stehen. Laut einer Analyse des BIAJ stiegen die Verwaltungsausgaben 2024 auf nahezu 7,7 Milliarden Euro – ein neuer Höchststand seit Einführung des SGB II im Jahr 2005. Eine transparente Planung und eine realistische Kalkulation im Haushalt sind dringend notwendig, um sowohl eine effiziente Verwaltung als auch eine wirksame Eingliederung sicherzustellen.
Wir fordern daher:
- Eine realistische und transparente Berechnung der Verwaltungskosten, um Mittel gezielt für die Integration von Arbeitslosen einzusetzen.
- Eine bedarfsgerechte Ausstattung des Eingliederungstitels, um langfristige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu ermöglichen und arbeitsmarktferne Gruppen sowie Geflüchtete mit hohem Beratungsbedarf gezielt in Arbeit und Gesellschaft zu integrieren.
3. Vergabe- und Förderstrukturen an Qualitätsstandards ausrichten
Das derzeitige Vergabesystem priorisiert Kosten über Qualität, wodurch seriöse Arbeitsmarktdienstleister benachteiligt werden. Anbieter, die vorrangig auf niedrige Kosten setzen, erhalten den Zuschlag, während nachhaltige Konzepte in den Hintergrund rücken. Dies schwächt die Qualität der Maßnahmen und erschwert eine langfristige Integration in den Arbeitsmarkt.
Anders als in anderen sozialen Bereichen gibt es in der beruflichen Bildung keine standardisierten Kostensätze, die sich an realen Bedarfen orientieren. Dies führt zu ineffektiven Maßnahmen und Wettbewerbsnachteilen für etablierte Anbieter mit hohen Qualitätsstandards. Notwendig sind klare Qualitätskriterien und transparente Vergabeverfahren, die nachhaltige Integration fördern und Dumpingpreise verhindern. Um eine effektive Weiterbildung und nachhaltige Integration zu ermöglichen, sind klare und transparente Qualitätsstandards notwendig. Wettbewerb darf nicht auf Kosten von Qualität und Verlässlichkeit geführt werden, sondern muss regionale Bedarfe berücksichtigen.
Auch die zunehmende Nutzung von Bildungsgutscheinen für digitale Angebote führt zu Qualitätsproblemen. Viele neue Anbieter sind stärker auf Gewinnmaximierung als auf nachhaltige Qualifizierung ausgerichtet und umgehen notwendige Standards. Obwohl der Bundesagentur für Arbeit das Problem bekannt ist, fehlen bisher wirksame Maßnahmen zur Kontrolle. Besonders für Langzeitarbeitslose sind reine Online-Kurse oft ungeeignet, da persönliche Betreuung und praxisnahes Lernen fehlen. Zudem prüfen Zertifizierungsstellen vor allem Dokumente, ohne die inhaltliche Qualität der Angebote angemessen zu bewerten.
Wir fordern daher:
- Definition des gewünschten Outputs und der Qualitätsstandards durch den Bedarfsträger, unter Beratung unabhängiger Fachinstanzen.
- Festlegung verbindlicher Kostensätze/Förderpauschalen, die sich an regionalen Durchschnittswerten orientieren (z. B. Tariflöhne, Mieten).
- Vergabe von Aufträgen über das Zuwendungsverfahren oder ein Verhandlungsverfahren nach beschränkter Ausschreibung, unter Berücksichtigung vereinbarter Pauschalen.
- Verhinderung der Marktverzerrung durch unseriöse Anbieter und Sicherung hochwertiger Angebote.
4. Faire Vergütung und Arbeitsbedingungen für pädagogische Fachkräfte
Pädagogische Fachkräfte sind essenziell für den Erfolg arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen. Sie begleiten Arbeitslose und Zugewanderte individuell, fördern ihre Qualifizierung und unterstützen eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt. Trotz dieser Schlüsselrolle liegt ihre Vergütung oft deutlich unter dem Gehaltsniveau vergleichbarer Berufe im öffentlichen Dienst.
Diese unzureichende Bezahlung erschwert die Gewinnung und Bindung qualifizierter Fachkräfte. Hinzu kommen befristete Arbeitsverträge aufgrund unsicherer Maßnahmenfinanzierungen, was zu hoher Fluktuation und fehlender Kontinuität in der Betreuung führt.
Um eine hohe Qualität in der Bildungs- und Arbeitsförderung sicherzustellen, braucht es daher:
- Eine leistungsgerechte Bezahlung, die sich an den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes orientiert.
- Verlässliche Beschäftigungsperspektiven, durch langfristige Finanzierungszusagen für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen.
Angemessene Vergütungen und attraktive Arbeitsbedingungen sind essenziell, um qualifizierte Fachkräfte in der Arbeitsförderung zu halten und langfristig eine hohe Qualität der Maßnahmen zu gewährleisten.
5. Verlässliche und auskömmliche Finanzierung des “Gesamtprogramms Sprache”
Sprachförderung ist eine zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Integration Zugewanderter in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft. Das “Gesamtprogramm Sprache” muss langfristig gesichert und kostendeckend finanziert werden, um bedarfsgerechte Sprachkurse dauerhaft anbieten zu können. Eine unzureichende Finanzierung gefährdet die Qualität der Angebote und führt zu langen Wartezeiten, was sowohl Teilnehmende als auch Betriebe belastet, die auf sprachlich qualifizierte Fachkräfte angewiesen sind.
Während geplante Kürzungen bei den Integrationskursen vorerst a abgewendet wurden, bleibt die langfristige Finanzierung ungewiss. Unklare Perspektiven für die Zukunft führen zu Unsicherheiten für Bildungsträger und Teilnehmende. Besonders der Wegfall spezialisierter Kursformate und die starke Reduzierung der B2-BSK erschweren es vielen Zugewanderten, das für ihre berufliche Integration erforderliche Sprachniveau zu erreichen, was sowohl ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt als auch den Fachkräftebedarf der Wirtschaft erheblich beeinträchtigt.
Zusätzlich müssen die Kostenerstattungssätze für Bildungsträger angepasst werden, um steigende Betriebskosten, inflationsbedingte Mehrbelastungen und höhere Anforderungen an Lehrpersonal auszugleichen. Ohne diese Anpassung drohen finanzielle Engpässe, die das Kursangebot einschränken und die Integration erschweren.
Um eine verlässliche und wirksame Sprachförderung zu gewährleisten, fordern wir daher:
- Eine langfristige, stabile und kostendeckende Finanzierung des “Gesamtprogramms Sprache”.
- Einen gesetzlichen Anspruch auf adäquate Sprachförderung für alle Zugewanderten.
- Eine Anpassung der Kostenerstattungssätze, um gestiegene Betriebskosten und inflationsbedingte Mehrbelastungen auszugleichen.
Wege in eine nachhaltige Arbeitsmarktpolitik
Abschließend lässt sich festhalten: Eine zukunftsorientierte Arbeitsmarktpolitik muss langfristig auf Qualität, Nachhaltigkeit und soziale Teilhabe setzen. Der Fokus auf kurzfristige Einsparungen untergräbt die Wirksamkeit arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen und verhindert eine nachhaltige Integration von Arbeitslosen und Zugewanderten. Die aktuellen Herausforderungen machen deutlich, dass eine Neuausrichtung der Förderstrukturen notwendig ist, um echte Chancengleichheit und langfristige Beschäftigungsperspektiven zu schaffen. Daher sind Reformen in der Arbeitsförderung dringend erforderlich, um den aktuellen Herausforderungen wirkungsvoll zu begegnen.
Um diesem Ziel gerecht zu werden, braucht es eine Förderpolitik, die langfristig in Menschen investiert und strukturelle Defizite abbaut. Qualitativ hochwertige Bildungs- und Beschäftigungsangebote sind der Schlüssel zur Fachkräftesicherung und zur gesellschaftlichen Stabilität. Die bag arbeit fordert daher ein entschlossenes politisches Handeln, um die bestehenden Defizite zu beheben und die Zukunft des Arbeitsmarktes aktiv zu gestalten.
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