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Position: Förderstrukturen optimieren!

Obwohl die Corona-Pandemie deutlich gezeigt hat, welche essenzielle Bedeutung soziale  Dienstleistungen in unserem Gemeinwesen haben, leiden Maßnahmen der beruflichen  Bildung, Beschäftigung und Integration seit Jahren unter administrativen und  fördertechnischen Beschränkungen. Folgen der aktuellen Förderpolitik zeigen sich in der  deutlich zu geringen Vergütung pädagogischer Fachkräfte, einer dünnen materiellen  Ausstattung von Maßnahmen und an überschaubaren Integrationserfolgen. 

Doch gerade in den nächsten Jahren wird es darauf ankommen, alle Potentiale unserer  Gesellschaft zu nutzen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Das heißt konkret: Um mehr Menschen den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, müssen wir die  Qualitätsstandards von Integrationsmaßnahmen bedarfsgerecht in den Mittelpunkt  rücken und die Nachhaltigkeit deutlich verbessern. Nur so können wir zielführende  Angebote an alle Menschen richten, die diese benötigen: Langzeitarbeitslose, Schulabgänger  mit prekären Lernbiographien, Menschen mit zusätzlichem Ausbildungsbedarf, in prekärer  Beschäftigung oder ungewollter Teilzeitbeschäftigung und Menschen aus anderen Ländern,  die eine Beschäftigung in Deutschland anstreben. 

Als wichtige Reformbedarfe identifizieren wir: 

  • Eine Stärkung der lebenslangen Aus- und Weiterbildung durch eine Förderstruktur,  die die Qualität von Maßnahmen in den Vordergrund stellt.
  • Eine Ausweitung der Digitalstrategie auf Weiterbildungs- und Beschäftigungsträger mit einem Digitalpakt Weiterbildung und Qualifizierung.
  • Eine Optimierung von Beschäftigung durch den Ausbau von Qualifizierungs- und  Coachingmöglichkeiten und kompensierende Maßnahmen, um  Maßnahmefortführung bei steigender Lohnkostenfinanzierung zu gewährleisten

Aus- und Weiterbildung effektiv gestalten

Die Arbeit der Sozialen Dienstleister ist seit Jahren gekennzeichnet durch ein Vergabeverfahren der Bundesagentur für Arbeit, dass Arbeitsmarktdienstleistungen nach  scheinmarktwirtschaftlichen Vorgaben einkauft. Die Schwerpunktsetzung auf eine möglichst  kostengünstige Bereitstellung von sozialen Dienstleistungen führt zu hochproblematischen Resultaten: Integrationsziele können nicht oder nur ungenügend erreicht werden und  Finanzmittel werden oft ineffektiv eingesetzt. 

Verschärfend kommt hinzu, dass bei den zu vergebenden Maßnahmen die Mechanismen des freien Marktes nicht greifen können, da es sich nicht um einen freien Markt handelt. Das  Handeln der Akteure ist wesentlich durch die Praxis der Bundesagentur für Arbeit als  Quasieinkaufsmonopolist gesteuert. Die Leistungsfähigkeit der Arbeitsmarktdienstleister  wird untergraben, Erfahrungswissen geht durch Neuvergabe verloren und die Folgen sind  gravierend:  

  • Preisverfall bei berufsbezogenen Dienstleistungen 
  • Erheblicher Mangel an gut qualifizierten Fachkräften  
  • Unterbezahlung pädagogischer Mitarbeitender (Gehälter liegen deutlich unter denen des öffentlichen Dienstes für vergleichbare Tätigkeiten) 
  • Unzureichende technische Ausstattung und Infrastruktur bei den Dienstleistern  (insbesondere im herausfordernden digitalen Bereich)  
  • Folgenschwere strukturelle Probleme bei der bedarfsgerechten und  qualitätsgesicherten Umsetzung von Dienstleistungen 

Anders als in anderen Sektoren sozialer Dienstleistung wie etwa der Jugendhilfe,  Obdachlosenhilfe oder im Pflegebereich gibt es im Bereich der beruflichen Bildung und  sozialen Integration keine vereinbarten Kostensätze, die grundsätzlich an den tatsächlichen  Bedarfen orientiert und Ergebnis eines Interessenausgleichs sind. Im Bereich der beruflichen  Bildung gilt ausschließlich das Ergebnis / der Preis der zuvor beschriebenen Ausschreibungen, die strukturbedingt zu erheblichen Qualitätsdefiziten führen.  

Wir fordern daher eine Neuorientierung der Förderstruktur, die die Qualität von  Maßnahmen in den Vordergrund stellt, eine Förderstruktur mit nachvollziehbaren und  transparenten Qualitätsstandards, um eine effektive lebenslange Aus- und Weiterbildung und die Rückkehr beziehungsweise den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Dies heißt nicht, den Wettbewerb abzuschaffen und Leistungskriterien zu beseitigen.  Vielmehr geht es darum, Qualität und Verlässlichkeit der Leistungserbringung sowie die  Leistungserbringung gemäß tatsächlicher regionaler Bedarfe und Rahmenbedingungen in  den Vordergrund zu stellen. 

Folgende Verfahren schlagen wir vor: 

  1. Beschreibung des geforderten Outputs und der geforderten Qualität einer  Maßnahme/ eines Projekts durch den jeweiligen Bedarfsträger, beraten durch eine  unabhängige wissenschaftliche Fachinstanz, auf Grundlage bundesweit geregelter  grundsätzlicher Vergabeprinzipien. 
  2. Beschreibung der hierfür nötigen Ressourcen und deren Kosten gemäß regionaler  Durchschnittswerte (z.B. Tariflöhne, Durchschnittsmieten etc.) und daraufhin folgende  Festlegung von verbindlichen Kostensätzen/Förderpauschalen.
  3. Beauftragung von Dienstleistern entweder im Zuwendungsverfahren (Aufgabe des  verbindlichen Vergabevorrangs im SGB III) oder im Verhandlungsverfahren nach einer  beschränkten Ausschreibung im Anschluss an ein Interessenbekundungsverfahren; in  beiden Fällen unter Nutzung von zwischen Trägervertretern und Bundesagentur für  Arbeit vereinbarten Pauschalen bzw. Kostensätzen.  

Digitalisierung umsetzen 

Weiterbildungs- und Beschäftigungsträger leisten einen wesentlichen und zukunftsrelevanten Beitrag zur Aus-, Weiterbildung und Qualifizierung von arbeitslosen und erwerbstätigen  Menschen. Dennoch wurden diese bisher im Rahmen der digitalen Bildung und des  DigitalPakts Schule nicht mitgedacht. Die öffentliche und privat finanzierte Weiterbildung und  Qualifizierung blieb trotz ihres hohen Stellenwerts in Gesellschaft, Wirtschaft und  Arbeitsmarkt komplett außen vor. Für sie fehlt gänzlich eine Digitalstrategie zum Beispiel  analog der allgemein- und berufsbildenden Schulen eine Unterstützung bei der notwendigen Umstellung auf hybride oder rein digitale Unterrichts- und Trainingsmethoden.

Bislang sind keine Fördermittel bereitgestellt worden und eine Kompensation von  Mehrkosten ist weiterhin grundsätzlich nicht vorgesehen. Und dies, obwohl neben den  allgemein- und berufsbildenden Schulen auch jene Bildungs- und berufliche  Integrationseinrichtungen der berufsbezogenen Jugendlichen- und Erwachsenenbildung und der beruflichen Qualifizierung Teil einer kommunalen Bildungsinfrastruktur  sind. Insbesondere Jugendliche und Erwachsene aus prekären Arbeits- und  Lebensverhältnissen mit oft prekären Bildungs- und Ausbildungsbiographien benötigen hier  eine zusätzliche und nachhaltige Unterstützung. 

Schnellstmöglich ist ein DigitalPakt Weiterbildung aufzulegen – analog zu jenem für die  allgemein- und berufsbildenden Schulen. Wir fordern, gemeinsam mit dem BBB, EFAS und  dem VDP, die Vereinbarungen und pandemiebedingen Sonderprogramme, die Bund und  Länder zum „Digitalpakt Schule“ getroffen haben, auf die Weiterbildungs- und  Beschäftigungsbranche auszuweiten. 

Beschäftigung optimieren 


Maßnahmen für Menschen, bei den denen die soziale Teilhabe und die schrittweise und  besonders behutsame Heranführung an den Arbeitsmarkt im Vordergrund stehen, sind  aktuell insbesondere Maßnahmen des SGB III nach §16i und e sowie die  Arbeitsgelegenheiten. Insbesondere 16i-Maßnahmen sind aufgrund ihrer Marktnähe und  Nachhaltigkeit ein gutes und unverzichtbares Instrument, um Beschäftigungsfähigkeit und  Leistungsvermögen zu verbessern und soziale Teilhabe zu sichern. 

Durch die geplante Erhöhung des Mindestlohnes auf 12 €, die wir begrüßen, werden die  Maßnahmen nach 16i und 16e unter einen besonderen Druck gesetzt. Die gemäß Gesetz  notwendige, jährlich steigende Lohnrestkostenfinanzierung durch Markteinnahmen wird für 

Unternehmen schwierig, da die Mehrkosten im Regelfall nicht durch Preiserhöhungen  kompensiert werden können. Um eine Maßnahmefortführung zu gewährleisten, sollten  kompensierende Maßnahmen ergriffen werden, ggf. die Länder befähigt werden, um die  Lohnzahlung zu stützen und sicherzustellen. 

Beschäftigungsmaßnahmen, ob nach § 16i oder als AGH, können eine Integration in den  Arbeitsmarkt immer nur so zielführend realisieren wie sie über taugliche  Integrationsinstrumente verfügen. Nach unserer Erfahrung genügt hierfür in vielen Fällen die  bloße Beschäftigung nicht. Die vorhandenen Qualifizierungs- und Coachingmöglichkeiten  sollten deutlich ausgeweitet und als Weiterbildungsmaßnahmen möglichst unmittelbar als  Instrument innerhalb des SGB II an die Beschäftigung angedockt werden. Auch hier gelten die Ausführungen im Abschnitt Aus- und Weiterbildung, eine Beauftragung  zur Durchführung von Qualifizierung oder Coaching über die tradierte öffentliche Vergabe  oder als Gutscheinmaßnahme wäre kontraproduktiv. Qualifizierung und Coaching sollten  organisatorisch und strukturell eng mit den Beschäftigungsstrukturen verzahnt sein, um eine  optimale Förderung zu erreichen und planbare, nachvollziehbare Schritte hin zu einer  möglichst qualifizierten Beschäftigung, zu Übergängen und zur nachhaltigen Rückkehr in den  Arbeitsmarkt aufzeigen. Dies kann innerhalb eines Unternehmens/Trägers oder als  Kooperationsverbund z.B. von Beschäftigungs- und Bildungsträgern geschehen.  

Link: 20211101_Position_bag_arbeit_Foerderstrukturen_optimieren

Berlin, November 2021 

bag arbeit e.V.                   
Brunnenstraße 181
10119 Berlin
www.bagarbeit.de        

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Arbeit e. V. (bag arbeit) ist der Verband von  Beschäftigungs- und Qualifizierungsunternehmen und  arbeitsmarktpolitischen Dienstleistern in Deutschland. Unsere Mitglieder  setzen ihre fachliche und soziale Kompetenz ein, um arbeitslosen Menschen Chancen auf eine soziale und berufliche Integration zu eröffnen.