Die 9+1 Thesen für eine bessere Berufsbildung verstehen sich als Impuls für die Diskussion um die Weiterentwicklung der beruflichen Bildung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) für eine zukunftsausgerichtete berufliche Bildung. Sie stellen so die Basis für die Ableitung von Handlungsempfehlungen für die bedeutsamen Phasen beruflicher Bildung dar, die insbesondere an die Berufsbildungspolitik adressiert sind.
Unterlegt werden die Thesen durch grundlegende Prinzipien, die eine moderne Berufsbildung ausmachen (+1-Komponente), wie das Berufsprinzip oder das Dualitätsprinzip auch für die Weiterbildung.
Als wesentliche Erkenntnisse und Ergebnisse eines ergiebigen Diskurses in der Arbeitsgruppe können, zusammenfassend und in Kürze, herausgestellt werden:
- Berufliche Orientierungsphasen werden in einer komplexer werdenden Arbeitswelt betroffene Individuen und begleitende Institutionen vor Herausforderungen stellen und zunehmend ein biografisches Langzeitprojekt werden. Berufsorientierung entfaltet dann ihr Potenzial, wenn sie als gendersensibler ganzheitlicher Prozess verstanden wird, in dem die einschlägigen Maßnahmen stärker miteinander vernetzt und von Beginn an an Berufslaufbahnkonzepten orientiert werden.
- Im sogenannten Übergangssystem sind die direkten Übergänge aus der allgemeinbildenden Schule in eine berufliche Ausbildung für einen stabil vorhandenen Anteil junger Menschen verschlossen und führen in heterogene Angebote. Durch die Positionierung als Chancenverbesserungssystem in der beruflichen Bildung erfährt das Übergangssystem eine Aufwertung als sinnvoller Zwischenschritt in die Berufsausbildung.
- Die duale Berufsausbildung verliert an Attraktivität, die Nachfrage und das Angebot sinken und die Passungsprobleme wachsen. Die Zukunftsfähigkeit der Berufsausbildung wird gesichert durch eine flexiblere, zielgruppenorientiertere und motivierende Berufsausbildung mit einer fairen Verteilung der Lasten.
- Spezieller Fokus: die Berufsbildung im Bereich der Pflege. Im Zusammenhang mit der generalistischen Pflegeausbildung fehlen insbesondere transparente und durchlässige Qualifizierungskonzepte für ein bedarfsgerechtes und versorgungssicheres Pflegesystem. Die Attraktivität von Aus- und Fortbildung im Bereich der Pflege wird durch ein bundesweit geregeltes, bildungsbereichsübergreifendes Berufslaufbahnkonzept erhöht, das transparente und durchlässige Karrierewege auf der Grundlage eines professionellen Pflegeverständnisses ermöglicht.
- Die formale berufliche Weiterbildung genügt derzeit ihrem gesetzlich zugewiesenen Anspruch einer höherqualifizierenden Berufsbildung in Deutschland nur unzureichend. Formale berufliche Weiterbildung gewinnt an Attraktivität, wenn sie durch konsequente Modularisierung, Dualisierung, eine bessere Verknüpfung mit der Berufsausbildung und durch eine neue Rolle beruflicher Schulen im Zusammenspiel der unterschiedlichen Stakeholder entlang von Berufslaufbahnkonzepten als eigenständiger beruflicher Bildungsweg gestärkt wird.
- Die gesellschaftlichen Herausforderungen bedingen tiefgreifende Anpassungsprozesse in der Arbeits- und Berufswelt, denen mit der derzeitigen Weiterbildungsdynamik, gerade auch im Kontext der non-formalen beruflichen Weiterbildung, nur unzureichend entsprochen wird. Das Weiterbildungssystem der Zukunft zeichnet sich dadurch aus, dass es den individuellen Erwartungen und Ansprüchen an eine berufsbegleitend, flexibel und hybrid organisierte Kompetenzentwicklung im Lebens- und Erwerbsverlauf uneingeschränkt genügt.
- Berufliche und hochschulische Bildung sind traditionell getrennte Bildungsbereiche, die unzureichend miteinander verbunden sind. Gleichzeitig differenzieren sich die Angebote der beruflichen und hochschulischen Bildung aus. Berufliche und hochschulische Bildung sollen jeweils eigenständige Systeme bleiben. Die Gewinnung eines höheren Durchlässigkeitsniveaus zwischen ihnen wird durch die Weiterentwicklung der Übergänge erreicht.
- Die derzeitigen formalen Standardangebote zur Qualifizierung des Bildungspersonals sind vor dem Hintergrund der Herausforderungen für sich genommen nicht mehr anforderungsgerecht. Eine bessere Unterstützung des beruflichen Bildungspersonals gelingt durch die Ergänzung des formalen Weiterbildungsangebotes durch ein niedrigschwelliges und passgenaueres non-formales Angebot, das insbesondere über digitale Medien verfügbar ist.
- Die Gründungsquote in Deutschland ist niedrig und sinkt seit Jahren. Anstrengungen in Sachen Entrepreneurship sowie Intrapreneurship müssen deshalb verstärkt werden. Eine sich durch die systematische Förderung von Entrepreneurship und Intrapreneurship auszeichnende berufliche Bildung wirkt sich positiv auf die Förderung eines Gründungsgeistes in Deutschland und dann auch auf die Entwicklung der Gründungsquote aus.
BIBB: Zukunftsfähig bleiben! 9 + 1 Thesen für eine bessere Berufsbildung | 04-22