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Karriere mit Behinderung

forum arbeit 02/24

von Dr. Oliver Stettes

Trotz der aktuellen Eintrübungen am deutschen Arbeitsmarkt haben Unternehmen weiterhin große Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Beschäftigten; ein Phänomen, über das bereits seit längerer Zeit gesprochen wird. Weniger bekannt ist, dass vielerorts auch Führungspositionen unbesetzt bleiben. Ein Grund ist, dass Menschen sich gegen einen beruflichen Aufstieg in ihrem Betrieb entscheiden. Die geringe Sichtbarkeit dieses Fachkräfteengpasses ist darauf zurückzuführen, dass vakante Führungspositionen häufig mit Kandidaten und Kandidatinnen aus dem bisherigen Belegschaftskreis besetzt und entsprechend seltener in Stellenanzeigen beworben werden. Sie bleiben damit dem Umfeld verborgen. Dieses Problem betrifft mittlerweile jedes zweite Unternehmen hierzulande, wie eine repräsentative Unternehmensbefragung, das IW-Personalpanel, zeigt. 

Dies lenkt den Blick auf die Frage, ob sich der Kreis potenzieller Kandidaten und Kandidatinnen durch die Motivation von Personen aus Beschäftigtengruppen erweitern lässt, die derzeit relativ selten in Tätigkeitsfeldern mit Führungsverantwortung zu finden sind. Dazu zählen zum Beispiel auch Menschen mit Behinderungen. Während mehr als drei von zehn Beschäftigten ohne Behinderungen eine Führungsposition ausüben, sind dies zum Beispiel bei denjenigen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent nicht einmal ein Viertel. Für eine Antwort auf die oben gestellte Frage müssen folglich Faktoren betrachtet werden, die zu der unterproportionalen Besetzungsquote führen können.

Anforderungen an Führungskräfte und Führungsnachwuchs beachten

Der erste Blick geht daher auf die beruflichen Anforderungen, die an Führungskräfte gestellt werden, und darauf, ob diese für Menschen mit Behinderungen sich als besonders starkes Hindernis erweisen. Wer Führungsverantwortung besitzt, hat einen erheblichen Einfluss auf den unternehmerischen Erfolg. Daher werden an Führungskräfte und Aufstiegswillige auch besondere Anforderungen gestellt. Neben Fachkompetenzen stellen persönliche Kompetenzen gleichermaßen die Grundvoraussetzung bei der Besetzung von Führungspositionen dar. Dazu zählen zum Beispiel Belastbarkeit, Einsatzbereitschaft und (zeitliche, mancherorts auch räumliche) Flexibilität. Vielerorts ist der Aufstieg in Führungspositionen auch Teil des Leistungsmanagements. Das bedeutet, es werden diejenigen befördert, die sich durch ein entsprechendes Engagement und wichtigen Beitrag für den Erfolg ihrer Einheit in der Vergangenheit ausgezeichnet haben. Daher erweisen sich neben den Kompetenzen der zeitliche Beschäftigungsumfang und die damit verbundenen Arbeitsleistungen in vielen Unternehmen als wichtige Faktoren sowohl bei der Auswahlentscheidung als auch bei der Ausübung einer Führungsposition.

Teilzeit ist unter Führungskräften eher selten anzutreffen. Eine Beschäftigung in Teilzeit geht ebenfalls für alle Beschäftigte gleichermaßen mit geringeren Karriereambitionen einher, wie eine empirische Analyse auf Basis der IW-Beschäftigtenbefragung 2023 zeigt. Nun arbeiten Beschäftigte mit Behinderungen relativ häufig in Teilzeit; möglicherweise gerade aufgrund der mit den Behinderungen verbundenen Einschränkungen. Eine unterproportionale Repräsentanz in Führungspositionen ist vor diesem Hintergrund auch eine Folge des Umstands, dass Menschen mit Behinderungen im Durchschnitt die zeitlichen Anforderungen an Bewerberinnen und Bewerber sowie an Führungskräfte nicht im gleichen Maß erfüllen können oder wollen wie Beschäftigte ohne Behinderungen. 

Was man im Durchschnitt beobachten kann, muss aber nicht für jedes einzelne Unternehmen gelten. Wo teilzeitbeschäftigte Personen aufgrund ihrer Kompetenzen und Erfahrungen eigentlich als geeignet für die Übernahme von Führungsaufgaben angesehen werden, sollten die verantwortlichen Entscheidungsträger ergebnisoffen prüfen, ob eine Teilzeitbeschäftigung aus Sachgründen dem Ausüben einer Führungsposition bzw. dem Aufstieg in eine solche tatsächlich im Wege steht oder ob ein potenzieller Kompetenzvorsprung der Kandidatin bzw. des Kandidaten das Handicap einer eingeschränkten zeitlichen Verfügbarkeit für berufliche Belange nicht doch aufwiegt. Derartige Aspekte sind allerdings weniger eine Frage betrieblicher Inklusionsbemühungen, sondern vielmehr eine der Arbeitsorganisation und des Leistungsmanagements allgemein.

Beschäftigte mit Behinderungen – nicht zwingend weniger karriereorientiert

Menschen mit Behinderungen wird häufig eine höhere Arbeitsmotivation und eine besonders loyale Haltung gegenüber dem Arbeitgeber attestiert. Beides könnte daher eigentlich einen Aufstieg in eine Führungsposition begünstigen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sie diesen auch anstreben. Die IW-Beschäftigtenbefragung 2023 zeigt deutlich, dass eine Behinderung nicht mit einer geringeren Aufstiegsorientierung zusammenhängt, zumindest wenn man Beschäftigte mit und ohne Behinderungen vergleicht, die ähnliche persönliche Merkmale aufweisen. Beispielsweise gehen ein höheres Alter und eine längere Betriebszugehörigkeitsdauer grundsätzlich mit geringeren Karriereambitionen einher. Behinderungen und Beeinträchtigungen treten aber in der Regel erst im Laufe des Lebens auf und stehen daher sowohl mit dem Lebensalter als auch mit der Dauer der Betriebszugehörigkeit in einem positiven statistischen Zusammenhang. 

Aufstieg auf Karriereleitern weckt Überlastungssorgen 

Unsere empirische Analyse weist aber auf zwei markante Unterschiede zwischen Beschäftigten mit und ohne Behinderungen auf, wenn man potenzielle Einflussfaktoren auf die Karriereambitionen in den Blick nimmt. Müssen Beschäftigte mit Behinderungen häufig geplante Weiterbildungsmaßnahmen aufschieben oder gar auf diese verzichten, sinkt in erheblichem Maß die Wahrscheinlichkeit, (weiter) aufsteigen zu wollen. Bei Beschäftigten ohne Behinderungen ist der Zusammenhang vom Niveau her vernachlässigbar und nicht statistisch signifikant. Leider lässt die IW-Beschäftigtenbefragung 2023 keinen Schluss darauf zu, ob eine Behinderung von den Betroffenen im beruflichen Umfeld als Nachteil wahrgenommen wird und in Qualifizierungsmaßnahmen die Chance gesehen wird, den vermuteten Nachteil durch höhere Kompetenzen auszugleichen. In einem solchen Fall wäre mit der Verschiebung von oder dem Verzicht auf Weiterbildungen eine tatsächliche oder vermutete Verschlechterung von Karrierechancen verbunden, die wiederum die Wahrscheinlichkeit beeinflusst, überhaupt Karriereambitionen zu hegen.  

Wer Angst hat, seine Arbeit nicht zu schaffen, weist zudem nur in der Stichprobe der Beschäftigten mit Behinderungen eine höhere Wahrscheinlichkeit auf, (weiter) aufsteigen zu wollen. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass karriereambitionierte Menschen mit Behinderungen wissen, dass Beförderungsentscheidungen von ihrer Arbeitsleistung abhängen, sie aber anders als Aufstiegsaspiranten ohne Behinderung zugleich befürchten, dass sie den dadurch entstehenden höheren Leistungsanforderungen möglicherweise aufgrund der mit der Behinderung einhergehenden Beeinträchtigung nicht gerecht werden können. Wo dies zur Folge haben könnte, dass eigentlich als geeignet betrachtete Beschäftigte im Zeitablauf ihre Ambitionen zurückschrauben und im Extremfall letztlich vor der Übernahme von Führungsverantwortung zurückschrecken, könnten Geschäftsleitungen und Personalmanagement erwägen, durch geeignete personalpolitische Maßnahmen den Betroffenen die Teilnahme an einem Aufstiegswettbewerb zu erleichtern, ohne die Funktionslogik dieses Leistungsmanagementsystems zu konterkarieren.  

Potenzielle Ansatzpunkte für Betriebe

Unsere empirische Analyse erlaubt zwar keine kausalen Schlüsse, deutet aber darauf hin, dass karriereorientierte Beschäftigte mit Behinderungen einer Unterstützung bedürfen könnten. Führungskräfte mit Behinderungen könnten vor diesem Hintergrund als Vorbild für andere Beschäftigte mit Beeinträchtigungen fungieren und diese dazu motivieren, den eigenen beruflichen Aufstieg verstärkt ins Auge zu fassen. Eine inklusionsfreundliche Unternehmenskultur, die sich zum Beispiel an einer vorhandenen Unterstützung durch Vorgesetzte und einem ausgeprägt starken Gemeinschaftsgefühl in den Teams auszeichnet, sowie Maßnahmen im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements werden von Beschäftigten mit einer Behinderung besonders wertgeschätzt. Auch arbeitsorganisatorische Anpassungen, zum Beispiel veränderte Arbeits- und Pausenzeiten, eine Flexibilisierung des Arbeitsortes oder ein veränderter Aufgabenzuschnitt tragen zu einer als gut wahrgenommenen Integration am Arbeitsplatz bei. Bemühungen in beiden Handlungsfeldern können daher die Motivation von Beschäftigten mit Behinderungen stärken, sich um Führungspositionen zu bewerben, sofern sie die gewünschten Kompetenzen aufweisen und ihre Leistungsfähigkeit nicht durch die Behinderung objektiv beeinträchtigt ist.

Unser Autor Dr. Oliver Stettes  ist seit 2004 im Institut für Wirtschaft und leitet mittlerweile das Cluster Arbeitswelt und Tarifpolitik.